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Schweizer Mitgliedschaft bei internationalen Forschungsinfrastruktur-Netzwerken

Seit Sommer 2023 ist die Schweiz Mitglied bei sechs europäischen Forschungsinfrastruktur-Netzwerken mit Rechtsform ERIC (European Research Infrastructure Consortium). Internationale Forschungsinfrastrukturen fördern die länderübergreifende Zusammenarbeit in der Bearbeitung gesellschaftsrelevanter Fragen und geben wissenschaftliche und technologische Impulse, die weltweit ausstrahlen.

02.10.2023
Autor/in: Lea Bühlmann
Eine Gruppe von Menschen, die für ein Gruppenfoto posieren
Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Annual ERIC CH Symposium 2023 for Research Infrastructure Networks im SBFI. Bild: Irina Mayer, KOM SBFI

Das Europäische Strategieforum für Forschungsinfrastrukturen (ESFRI) beschreibt Forschungsinfrastrukturen als Einrichtungen, Ressourcen und Dienstleistungen, die in erster Linie von der Forschungsgemeinschaft genutzt werden, um qualitativ hochstehende und innovative Forschung zu betreiben. Darüber hinaus liefern sie auch wichtige Grundlagen – meist Daten – für andere Bereiche wie beispielsweise die Bildung oder öffentliche Dienstleistungen. Forschungsinfrastrukturen sind je nach Wissenschaftsbereich sehr unterschiedlich: Sie umfassen sowohl Grossgeräte oder (Mess-) Instrumente, wissensbasierte Ressourcen wie Sammlungen, Archive und wissenschaftliche Daten oder e-Infrastrukturen wie Daten- und Computersysteme sowie Kommunikationsnetze.

Es wird unterschieden zwischen Forschungsinfrastrukturen, die an einem Standort lokalisiert sind (single-sited), und solchen, die über mehrere Standorte verteilt sind (distributed). Bei Letzteren handelt es sich um einen Verbund aus national bestehenden Forschungsinfrastrukturen, die an Hochschulen oder nicht-kommerziellen Forschungsinstitutionen angesiedelt sind. Diese sogenannten nationalen Knotenpunkte bilden zusammen ein Forschungsinfrastruktur-Netzwerk. Die Koordination der nationalen Knotenpunkte erfolgt über einen zentralen Hub, der an einem der nationalen Knotenpunkte angesiedelt ist. Bei der Mehrheit der ERICs handelt es sich um solch verteilte Forschungsinfrastrukturen. Die internationale Vernetzung von nationalen Forschungsinfrastrukturen ermöglicht es, Synergien zu nutzen und bereits getätigte nationale Investitionen in ihre jeweiligen Einrichtungen zu verwerten und dadurch Skaleneffekte zu generieren.

Was ist ein ERIC?

Um den Aufbau und den Betrieb insbesondere von Forschungsinfrastruktur-Netzwerken zu vereinfachen, hat die Europäische Union 2009 die Rechtsform European Research Infrastructure Consortium, kurz ERIC, eingeführt. Die Rechtspersönlichkeit ERIC anerkennt die Beteiligung der EU-Mitgliedstaaten, assoziierter Länder, anderer nicht-assoziierter Länder sowie zwischenstaatlicher Organisationen an einer Forschungsinfrastruktur. Die Schweiz kann somit ihre Beteiligung an internationalen Forschungsinfrastrukturen auch bei den ERICs fortsetzen.

Der Betrieb eines ERIC wird in der Regel finanziert über Personal- und Sachleistungen (Inkind-Beiträge) und Geldleistungen der Institutionen, an denen die nationalen Knotenpunkte angesiedelt sind. Zudem leisten die Mitgliedsländer der ERICs Mitgliederbeiträge. Damit wird oft der Hub des ERICs finanziert, der übergeordnet für die Koordination und Standardisierung zuständig ist. Die Mitgliederbeiträge halten sich mit 50 000 bis ca. 150 000 Franken jährlich in Grenzen, weil die nationalen Knotenpunkte in den Mitgliedsländern des jeweiligen ERIC bereits etablierte und finanzierte nationale Forschungsinfrastrukturen sind.

ERICs sind auch ein wichtiger Motor für die Entwicklung und Implementierung von FAIR data (findable, accessible, interoperable, reusable), die die Auffindbarkeit, Zugänglichkeit, Interoperabilität und Wiederverwendung von Forschungsdaten zugunsten von Forschung, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft erleichtern sollen. Im Falle der Schweiz leisten die ERICs einen bedeutenden Beitrag zur Verankerung und Weiterentwicklung der nationalen Schweizer Strategie für Open Research Data (ORD) und deren Leitlinien zur Förderung von «FAIR research data by design».

2011 hat der Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe (SHARE) als erstes europäisches Forschungsinfrastruktur-Netzwerk die Rechtsform ERIC erhalten: Mit dabei war auch die Schweiz, die von Anfang an als Beobachterin an SHARE beteiligt war. Seither ist die europäische Forschungsinfrastrukturlandschaft stetig gewachsen und umfasst heute bereits 26 ERICs – Tendenz steigend. Mit Ausnahme der Schweizer Mitgliedschaft beim European Spallation Source ERIC in Lund 2015, bei der es sich um eine single-sited Forschungsinfrastruktur handelt, war der Beobachterstatus lange die einzige Form der Beteiligung der Schweiz an einem ERIC. Dies hat sich nun geändert.

Einstimmige Annahme der ERIC-Botschaft

Am 13. April 2022 unterbreitete der Bundesrat dem Parlament eine Botschaft zum Beitritt der Schweiz zu sechs internationalen Forschungsinfrastruktur-Netzwerken mit Rechtsform ERIC und also zum Wechsel vom Beobachterstatus zur Mitgliedschaft. Mit der ERIC-Botschaft wurde auch eine Änderung des Bundesgesetzes über die Förderung der Forschung und der Innovation (FIFG) beantragt, wonach zukünftig die Entscheidkompetenz über eine Mitgliedschaft der Schweiz in einem ERIC nicht mehr beim Parlament, sondern beim Bundesrat liegt. Dies erlaubt es der Schweiz, sich in der rasch wandelnden Forschungsinfrastrukturlandschaft agiler zu bewegen und positionieren.

Der Bundesrat hat eine Schweizer Mitgliedschaft für sechs ERICs aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen vorgeschlagen: zwei im Bereich Umweltwissenschaften, zwei im Bereich Life Sciences und Gesundheit sowie zwei im Bereich Geistes- und Sozialwissenschaften. Die Auswahl basiert auf der Schweizer Roadmap für Forschungsinfrastrukturen 2019 und einer vertieften Prüfung anhand eines Kriterienkatalogs.

Roadmap Eric Deutsch

Am 16. Dezember 2022 hat das Parlament die Beschlüsse der sogenannten ERIC-Botschaft verabschiedet und damit dem Beitritt der Schweiz als Mitglied zu den sechs ERICs und einer Änderung des FIFG zugestimmt. Mit der einstimmigen Annahme dieser Vorlage haben die eidgenössischen Räte einen für den Forschungs-, Innovations- und Hochschulpatz Schweiz bedeutsamen Entscheid getroffen. Nach Ablauf der Referendumsfrist der beiden Bundesbeschlüsse hat die Schweiz, vertreten durch das SBFI, die Mitgliedschaft in den sechs ERICs beantragt. Im Frühling bzw. Sommer 2023 haben die entsprechenden sechs Generalversammlungen der Schweizer Mitgliedschaft einstimmig zugestimmt.

Nach der Arbeit ist vor der Arbeit

Mit der Mitgliedschaft in den sechs ERIC ist ein wichtiger Meilenstein erreicht. Die Schweiz hat nun Stimmrecht in den Steuergremien der ERICs und kann sich dadurch aktiv einbringen und die Zukunft mitgestalten. Die ministerielle Vertretung der Schweiz in den Generalversammlungen der ERICs wird durch Mitarbeitende des SBFI wahrgenommen.

Das SBFI hat für die Aufgaben im Zusammenhang mit den ERICs ein neues Team zusammengestellt. Neben der ministeriellen Vertretung in den Generalversammlungen der ERICs sowie der Begleitung und Beratung der Schweizer Knotenpunkte – auch von möglichen künftigen ERICs – besteht eine wesentliche Aufgabe in der Koordination der verschiedenen beteiligten nationalen Stakeholder. Involviert sind unter anderen die Forschenden, die die nationalen Knotenpunkte betreiben und Daten «bewirtschaften», die Hochschulen und Forschungsorganisationen, an denen die nationalen Knotenpunkte angesiedelt sind, aber auch der SNF, die Akademien der Wissenschaften Schweiz sowie verschiedene Bundesämter.

Im Juni 2023 hat das SBFI zum ersten Annual ERIC CH Symposium for Research Infrastructure Networks eingeladen. Highlights des Symposiums waren die 90-Sekunden-Pitches der nationalen Knotenpunkte der bestehenden und künftigen ERICs sowie eine Keynote von Antje Keller, Chair des europäischen ERIC-Forums. Wertvoll waren auch die angeregten Diskussionen und der Austausch im Rahmen eines World Cafés.

Schweizer Mitgliedschaft bei sechs ERICs

  • Das European Plate Observing System (ERIC EPOS) ermöglicht den Zugang, die Nutzung und Wiederverwendung von multidisziplinären geowissenschaftlichen Daten und Diensten. EPOS sammelt Daten zu physikalischen und chemischen Prozessen auf der Erde (zum Beispiel Erdbeben, Vulkanausbrüche oder Tsunamis) sowie von Prozessen, die die Tektonik und Dynamik der Erdoberfläche beeinflussen. Der Schweizer Knotenpunkt von EPOS ERIC ist am Schweizerischen Erdbebendienst der ETH Zürich (SED ETH) angesiedelt.
  • Das Integrated Carbon Observation System (ICOS ERIC) koordiniert langfristige Beobachtungen der Konzentration und Flüsse von Treibhausgasen, die in Messstationen der verschiedenen Mitgliedländer von ICOS ERIC erhoben werden. Der Schweizer Knotenpunkt von ICOS-CH, der die Messstationen in Davos und auf dem Jungfraujoch koordiniert, ist an der ETH Zürich angesiedelt. Die Beobachtungen von ICOS tragen zu einem besseren Verständnis des Kohlestoffkreislaufs bei und liefern der Politik Grundlagen zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen auf europäischer Ebene.
  • Dank dem Consortium of European Social Science Data Archives (ERIC CESSDA) sind sozialwissenschaftliche Datenarchive aus über 21 europäischen Ländern vernetzt, was den Zugriff auf Daten für Forschungsprojekte über Ländergrenzen hinweg erlaubt und die Entwicklung von Standards für Daten, Metadaten und Thesauri ermöglicht. Kernstück dieses ERIC ist der CESSDA Data Catalogue. Er enthält Beschreibungen (Metadaten) von mehr als 40 000 Datensammlungen von CESSDA-Anbietern. Der Schweizer Knotenpunkt von CESSDA ist beim Schweizer Kompetenzzentrum Sozialwissenschaften FORS angesiedelt.
  • Die Digital Research Infrastructure for the Arts and Humanities (DARIAH ERIC) ist das europäische Netzwerk für digitale Forschungsinfrastrukturen der Kunst- und Geisteswissenschaften. Das Netzwerk mit aktuell 20 Mitgliedsländern entwickelt und fördert Forschungspraktiken, die auf Informations- und Kommunikationstechnologien beruhen und unterstützt Forschende bei der Nutzung digitaler Ressourcen über den Datenlebenszyklus hinweg. Das DARIAH-CH Konsortium koordiniert die entsprechenden Aktivitäten in der Schweiz, wobei der nationale Knotenpunkt beim Swiss National Data and Services Center for the Humanities (DaSCH) angesiedelt ist.
  • Das European Clinical Research Infrastructure Network (ECRIN-ERIC) berät und unterstützt Forschende bei der Durchführung von grenzüberschreitenden multizentrischen klinischen Studien nach den «good clinical practice»-Grundsätzen. Der Schweizer Knotenpunkt ist die Swiss Clinical Trial Organisation (SCTO). Diese national koordinierte klinische Forschungsinfrastruktur umfasst die Clinical Trial Units an sechs Schweizer Universitäts- und zwei Kantonsspitälern. Seit die Schweiz 2015 als Beobachterland beigetreten ist, hat sie an zahlreichen ECRIN-Aktivitäten teilgenommen, darunter an mehr als zwanzig multinationalen klinischen Studien oder Infrastrukturprojekten, einschliesslich Plattformstudien zu Covid-19.
  • Die Biobanking and Biomolecular Resources Research Infrastructure (BBMRI-ERIC) ist eine europäische Koordinationsplattform für biologische Datenbanken. Schweizer Knotenpunkt von BBMRI-ERIC und zentrale Vermittlerin zwischen den Schweizer Human- sowie Nicht-Human-Biobanken und dem europäischen Netzwerk ist die Swiss Biobanking Platform (SBP). SBP ist mit aktuell 84 Biobanken die führende nationale Forschungsinfrastruktur für Biobanking-Aktivitäten in der Schweiz. SBP geht auf eine Initiative des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) zurück, die auf die wachsenden Bedürfnisse der Forschenden in den biomedizinischen und biologischen Wissenschaften in Bezug auf Qualität, Zugang, Transparenz und Vernetzung von Biobanken für Forschungszwecke reagiert.

Kontakt
Lea Bühlmann, SBFI Wissenschaftliche Beraterin, Ressort Nationale Forschung lea.buehlmann@sbfi.admin.ch +41 58 465 64 45
Barbara Flückiger, SBFI Wissenschaftliche Beraterin, Ressort Nationale Forschung barbara.flueckigerschwarzenbach@sbfi.admin.ch +41 58 462 37 10
Maarten Lupker, SBFI Wissenschaftlicher Berater, Ressort Nationale Forschung maarten.lupker@sbfi.admin.ch +41 58 465 08 68