Chancengleichheit und Gender Monitoring an Schweizer Hochschulen

In den letzten Jahren haben die Themen Gender Equality und Gender Mainstreaming im Hochschulbereich national und international an Wichtigkeit gewonnen. Im Interview erklärt Astrid Epiney, was Hochschulen künftig noch besser machen können, um Chancengleichheit zu fördern.

13.04.2022
Autor/in: Simone Keller
Eine Dozentin spricht vor Studierenden in einem Hörsaal
Obwohl der Anteil von Assistenzprofessorinnen an universitären Hochschulen in den letzten Jahren angestiegen ist, wirken sich die Veränderungen nur langsam auf die Zusammensetzung der Professor/innenschaft aus. Bild: Pierre-Michel Delessert, Universität Lausanne

Was tun die Hochschulen, um die Chancengleichheit von Frau und Mann zu verbessern?

Alle Hochschulen kennen Massnahmen institutioneller Natur, beispielsweise die Sensibilisierung von Vorgesetzten, Standards bezüglich Zielwerten (z.B. bei Berufungen), Massnahmen zur Unterstützung von Doktorierenden, Postdocs und weiteren Nachwuchspersonen (z.B. Mentoring, Trainings, Entlastungsmöglichkeiten) oder die Unterstützung von Doppelkarrierepaaren. Ebenfalls zu dieser Form von Massnahmen gehört die systematische Erhebung aussagekräftiger Daten, insbesondere das Monitoring auf Ebene Professorinnen.

Überdies hinaus verfügen sämtliche Hochschulen über entsprechende Stellen respektive Chancengleichheitsdelegierte und orientieren sich an hochschuleigenen Aktionsplänen, die im Rahmen der Chancengleichheitsprogramme entwickelt und seit 2021 vollumfänglich durch die Hochschulen getragen werden.

Wo müsste noch mehr getan werden?

Die Zahlen zeigen, dass durchaus weiter Handlungsbedarf besteht. Der Vergleich der Frauenanteile auf den verschiedenen Stufen der Ausbildung/Karriere macht die sogenannte «Leaky Pipeline» sichtbar: Je höher die Stufe auf der Karriereleiter, desto geringer die Frauenanteile. Es ist daher wichtig, dass die Hochschulen ihre Massnahmen weiterführen und weiterentwickeln.

In der nächsten Planungsperiode (2025–2028) stellen Chancengleichheit und Diversität ein zentrales Thema dar. Des Weiteren verfolgen die universitären Hochschulen drei Ziele: Erstens die verstärkte Berücksichtigung qualitativer Elemente bei Berufungen. Zweitens die Erhöhung der Anzahl Assistenzprofessuren mit Tenure Track. Und drittens sollen im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten zusätzliche unbefristete Stellen unterhalb der Stufe Professur geschaffen werden, um dem Nachwuchs unterschiedliche Karriereoptionen mit klar definierten Zielsetzungen und Entwicklungsmöglichkeiten anzubieten.

Astrid Epiney

Astrid Epiney steht in einem Gebäude der Universität Freiburg

Astrid Epiney, Rektorin der Universität Freiburg, ist seit Februar 2020 Präsidentin der Kammer universitäre Hochschulen. Diese vertritt die Interessen der Universitäten und ETH innerhalb von swissuniversities, der Rektorenkonferenz aller schweizerischen Hochschulen. Bild: Stephan Schmutz

Welchen Stellenwert schreiben Sie den von swissuniversities (bzw. der Kammer universitäre Hochschulen) erstellten «Empfehlungen und Good Practices zur Besetzung von Professuren» zu?

Es handelt sich um ein wichtiges Arbeitsinstrument für die universitären Hochschulen, um die kritische Reflexion über Berufungsverfahren weiter zu fördern und diese transparenter und chancengerechter zu machen. Selektionsprozesse sollen so ausgestaltet sein, dass Frauen nicht aufgrund von unbewussten Vorurteilen («implicit biases») oder der Nicht-Berücksichtigung von Lebensläufen mit Familienpausen ausgeschlossen werden. Dabei geht es auch um die Qualität von Berufungsverfahren, welche sich unter anderem daran misst, ob die Chancengleichheit gewährleistet ist. Insgesamt wird die Schaffung einer Kultur angestrebt, welche Gleichstellungs- und Diversitätsaspekten Rechnung trägt

«Je höher die Stufe auf der Karriereleiter, desto geringer die Frauenanteile.»

Astrid Epiney

Erfreulich ist der Anteil der Assistenzprofessorinnen 2020 an den universitären Hochschulen, es sind im Durchschnitt 44%. Wieso ist der Frauenanteil bei den Ordinarien (25%) dennoch nicht höher?

Der tiefe Frauenanteil auf der Stufe der Ordinarien spiegelt die Problematik der «Leaky Pipeline» wider. Allerdings zeigen Verlaufsanalysen, dass Frauen zwar derzeit bei den Professuren an den universitären Hochschulen in den meisten Disziplinen in der Minderheit sind; aber bei den Anstellungen sind sie systematisch besser vertreten als im Gesamtbestand. Der Anteil Frauen ist somit in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. So beträgt der Frauenanteil bei den Neuanstellungen Assistenzprofessorinnen mit Tenure Track für die drei Jahre 2018 bis 2020 gar 50%. Diese Neuanstellungen münden nach erfolgreicher Evaluation in der Regel in eine Festanstellung auf unterschiedlichen Ebenen der Professur (ordentliche, ausserordentliche, assoziierte Professur). Daher ist davon auszugehen, dass der Frauenanteil bei den Ordinarien kontinuierlich ansteigen wird. Zweckdienliche Massnahmen bleiben aber weiterhin nötig.

Zu betonen ist mit Bezug auf das Tempo, dass sich eine Änderung der Berufungspraxis aufgrund der langen Verweildauer der Professorinnen und Professoren nur mit grosser Verzögerung auf die Zusammensetzung der Professor/innenschaft an den universitären Hochschulen auswirkt. Selbst wenn ab heute eine im Hinblick auf die Geschlechterverteilung völlig ausgeglichene Berufungspraxis gepflegt werden sollte, würde sich dies erst nach mehreren Jahrzehnten vollständig im Gesamtbestand der Professor/innenschaft widerspiegeln.

Weiter ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass die Förderung des Frauenanteils bei den Professuren unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen erfolgen muss, so dass jedenfalls «harte» Quotenregelungen nicht in Betracht kommen und auch die Rechte der Nachwuchswissenschaftler – auch Männer haben ein Recht auf Nichtdiskriminierung – zu achten sind. 

Welchen Einfluss hat das internationale Umfeld auf die Umsetzung von Chancengleichheit und Gender Mainstreaming an Schweizer Hochschulen?

Forschung ist international. Nachwuchsförderung besteht darin, junge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen auszubilden, die in der Lage sind, im internationalen Wettbewerb eine erfolgreiche Karriere in- oder ausserhalb der Hochschule einzuschlagen. Dementsprechend ist das internationale Umfeld auch für die Umsetzung von Chancengleichheit und Gender Mainstreaming ein wichtiger Bezugsrahmen. Schweizer Hochschulen sind im Austausch mit den entsprechenden Netzwerken im Ausland und beteiligen sich nach Möglichkeit in den jeweiligen Gremien.

«Chancengleichheit in der Wissenschaft kann in einem Land nicht isoliert von den sonstigen Gegebenheiten gesehen werden.»

Astrid Epiney

In Grossbritannien und Irland gibt es den Athena Swan Award, ein Zertifizierungssystem, bei dem die Universität ein bestimmtes Niveau (Bronze, Silber, Gold) erreichen muss, um Fördergelder zu erhalten. Chancengleichheitsstrukturen wie auch die Gender-Thematik sollen damit verbessert und längerfristig verankert werden. Können Awards und Zertifizierungssysteme dazu ein Anreiz sein?

Qualität ist ein zentrales Anliegen der Hochschulen und ihr kommt entsprechend auch eine grosse Bedeutung bei der Qualitätssicherung zu. Auch in der Schweiz ist Chancengleichheit ein Kriterium bei der institutionellen Akkreditierung (HFKG Art. 30, Abs. a 5). Qualitätssicherungssysteme können jedoch unterschiedlich ausgestaltet sein. Die Umsetzung an den Hochschulen erfolgt unter anderem über Aktionspläne, liegt also in der Autonomie der Hochschulen, welche über einen gewissen Handlungsspielraum verfügen. Ein paralleles System der Koppelung von Fördergeldern an Awards oder zusätzliche Kriterien wäre systemfremd, ganz abgesehen davon, dass sich darüber hinaus die Frage stellte, warum eine derartige Kopplung nicht auch für andere wichtige Anliegen, zum Beispiel Nachhaltigkeit, gelten sollte.

Wie schätzen Sie die Chancengleichheit an den Hochschulen in der Schweiz im internationalen Vergleich ein?

Misst man Chancengleichheit allein am Anteil Professorinnen, so ist dieser im Vergleich mit den umliegenden Ländern bzw. der EU eher tief. Positiv zu werten sind aber die Erfolge mit dem Aktionsplan, der auf grosse Akzeptanz von Seiten der Hochschulen stösst. Zu beachten ist auch, dass Chancengleichheit in der Wissenschaft in einem Land nicht isoliert von den sonstigen Gegebenheiten gesehen werden kann, so spielen auch Faktoren wie die generelle Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Schulzeiten und Kinderbetreuungssysteme eine Rolle.

Vertieftes Gender Monitoring an Schweizer Hochschulen

Für die Universitäten ist die Entwicklung des Frauenanteils auf Stufe Professur wie auch bei den Anstellungen ein wichtiger Indikator für Chancengleichheit. Mit einer neuen Methode ermittelt das Bundesamt für Statistik (BFS) diese Anteile auf der Basis der Hochschulpersonalerhebung. Es berechnet rückwirkend bis 2017 die Geschlechterverteilung bei den neuen Anstellungen auf Stufe Professur pro Universität und Fachbereichsgruppe. Die neuen Berechnungen vertiefen das Gender Monitoring an den universitären Hochschulen und führen es weiter, auch mit Blick auf die Entwicklung von neuen Chancengleichheitsmassnahmen.

Massnahmen zeigen Wirkung

Mit projektgebundenen Beiträgen können Bund und Kantone im Hochschulbereich Prioritäten setzen und übergreifende Themen gemeinsam angehen. Von 2017 bis 2020 lief das vom Bund mit zwölf Millionen Schweizer Franken alimentierte Projekt «Chancengleichheit und Hochschulentwicklung». In dieser Zeit konnten die Aktionspläne Chancengleichheit an den Hochschulen verankert werden. Sie sind Grundlage für die Teilnahme am Programm «Diversität, Inklusion und Chancengerechtigkeit» in den Jahren 2021 bis 2024.

Mit den anfänglichen Anreizgeldern für die Einstellung von Professorinnen wurde eine Diskussion über Gleichstellungspolitik in Gang gesetzt und mit weiteren Massnahmen auf verschiedenen Ebenen gestärkt, wie Mentoring und Coaching, Kinderbetreuungsangebote, Motivation für MINT-Studienfächer und Sensibilisierung gegenüber sexueller Diskriminierung. Die Struktur an den Universitäten hat sich über die letzten 20 Jahre gefestigt.


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Simone Keller, SBFI Stv. Leiterin Ressort Kommunikation simone.keller@sbfi.admin.ch +41 58 485 67 74
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Simone Keller