Wie Marco Sieber zum Astronauten wurde

Er ist nach Claude Nicollier der zweite Schweizer Astronaut: Marco Sieber. Ein Einblick in sein Training am Europäischen Astronautenzentrum in Köln, bei dem Übungen in der Schwerelosigkeit genauso auf dem Programm stehen wie das Büffeln von Theorie.

09.07.2024
Autor/in: Larissa Erdmann
Die fünf ESA-Astronautinnen und -Astronauten schneiden gemeinsam ihren Kuchen zur absolvierten Grundausbildung an.
Seit April 2024 ist Marco Sieber offiziell ESA-Astronaut – und somit bereit für eine erste Mission in den Weltraum. Bild: ESA

Der Weltraum und die Dinosaurier – diese zwei Dinge faszinierten Marco Sieber als Kind. «Astronaut werden», sein Kindheitstraum, schien ihm als Europäer aber lange Zeit unerreichbar. Bis ihm ein Kollege 2021 vom Bewerbungsaufruf der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) erzählte. Die alte Begeisterung war sofort wieder geweckt und so bewarb er sich. Zusammen mit vier anderen setzte sich der gebürtige Emmentaler gegen 22500 Kandidatinnen und Kandidaten durch. Seit 2024 ist er offiziell Teil des Europäischen Astronautencorps der ESA. 

Der Traumberuf wird Realität

Im November 2022 begann Sieber sein «Grundlagentraining» im Europäischen Astronautenzentrum der ESA in Köln. Der Beruf Astronautin bzw. Astronaut kombiniert verschiedene Disziplinen, was Marco Sieber sehr schätzt. Eine der Herausforderungen war das viele Wissen, das er sich aneignen musste. In Fächern wie Biologie und Neurowissenschaften hat Sieber als Arzt einen Vorteil, obwohl er sich als Urologe und Notarzt bisher kaum damit auseinandergesetzt hat, wie sich eine Fahrt in den Weltraum auf den menschlichen Körper auswirkt. Andere Disziplinen wie Ingenieurswissenschaften oder Physik waren für Marco Sieber dagegen eher neu und fielen ihm weniger leicht. Besonders faszinierend findet er Astronomie, ein für ihn bislang unbekanntes Fach. 

«Ich bin eine sehr neugierige Person und möchte gerne Neues lernen und wissen, wie etwas funktioniert.»

Marco Sieber

Als Notarzt konnte sich Marco Sieber neben theoretischem Wissen auch Fähigkeiten aneignen, die man nicht aus Büchern lernt. Notärztinnen und Notärzte arbeiten viel und sind es gewohnt, unter Stress Entscheidungen treffen zu müssen. Für einen Astronauten ist das eine wichtige Fähigkeit. Auch die Arbeit mit wenig Ressourcen ist Marco Sieber als Notarzt in der Luftrettung gewohnt. Die Arbeit an abgelegenen Orten verlangt, nur so wenig Equipment mitzunehmen wie nötig – das gilt auch für den Weltraum. 

Marco Sieber liegt in Winterkleidung im Schnee und zeigt lächelnd den Daumen nach oben.
Marco Sieber beim Winter-Überlebenstraining in den Pyrenäen. Bild: ESA
Die neuen ESA-Astronautinnen und Astronauten und Alexander Gerst stehen vor dem Neutral Buoyancy Lab der NASA.
Im «Neutral Buoyancy Laboratory» der NASA führten die ESA-Astronautinnen und -Astronauten ein «Spacewalk Training» durch. Der Pool simuliert die Schwerelosigkeit im All. Bild: ESA
Marco Sieber, Rosemary Coogan und Raphaël Liegois betrachten eine virtuelle Darstellung der Blutgefäße im menschlichen Körper mit einer AR-Brille.
Auch Anatomie und Physiologie standen auf dem Stundenplan, wofür zum Teil auch Augmented Reality eingesetzt wird. Bild: ESA
Die Astronautinnen und Astronauten treiben mit Schwimmwesten im Meer.
Zur Ausbildung der ESA-Astronautinnen und -Astronauten gehört auch ein Überlebenstraining auf See. Bild: ESA

Feuer löschen, die Raumstation reparieren

Körperlich müssen Astronautinnen und Astronauten topfit sein. Als Fallschirmspringer bei der Schweizer Armee sowie leidenschaftlicher Wanderer, Gleitschirmflieger, Skitourenfahrer und Kitesurfer bringt Marco Sieber dafür gute Voraussetzungen mit. Eines der Ausbildungsmodule, auf die er sich am meisten freute, war das Winter-Überlebenstraining in den spanischen Pyrenäen: Er liebt es, draussen in den verschneiten Bergen zu sein und abzuschalten. Ihre Handys mussten die Astronautenanwärter und -anwärterinnen abgeben.  In diesem Überlebenstraining sind sie als Team zusammengewachsen. In einer neuen Umgebung weit weg von Freunden und Familie half man sich im Team gegenseitig bei den herausfordernden Aufgaben. 

Neben dem Survival-Training absolvierte die «Klasse» viele weitere Übungen, so zum Beispiel ein Training in einer Zentrifuge, um sich auf die g-Kräfte vorzubereiten, die beim Start ins All und bei der späteren Landung auf der Erde auf den menschlichen Körper wirken. Trainiert wurde auch für Notfälle, zum Beispiel wie man Feuer löscht, erste Hilfe leistet oder auf See überlebt. Auch das, was im Weltraum Routine wird, wird bei der ESA geübt: sich bei Schwerelosigkeit fortbewegen oder Reparaturen an der Internationalen Raumstation durchführen. Diese Trainings finden nicht nur bei der ESA in Köln statt, sondern an verschiedenen Orten in Europa und auch bei der NASA in den USA.

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Video: Im Training im Parabelflug-Training eignen sich die Astronautinnen und Astronauten verschiedene Fähigkeiten an – so übte Marco Sieber zum Beispiel, wie man in Schwerelosigkeit Equipment verstaut oder jemanden reanimiert. Quelle: ESA

«Ich dachte nicht, dass ich grosse Chancen hatte ausgewählt zu werden, aber ich habe mich einfach beworben und schlussendlich hat es geklappt.»

Marco Sieber

Wie es für Marco Sieber weitergeht

Nach der Graduation im April 2024 geht es für Marco Sieber zunächst in die USA. Denn bevor er vielleicht der erste Schweizer auf dem Mond sein könnte, fliegt er voraussichtlich für einen sechsmonatigen Aufenthalt zur internationalen Raumstation (ISS). Dafür werden er und die anderen neuen ESA-Astronautinnen und -Astronauten unter anderem bei der NASA in Houston trainieren. Im Johnson Space Center stehen mehrere ISS-Modelle zur Verfügung, in dem sie sich noch auf der Erde mit ihrer künftigen Arbeitsumgebung im Weltraum vertraut machen können.

Die Astronauten machen sich mit dem Modell der ISS in Houston vertraut.
In einem Modell der ISS im Johnson Space Centre der NASA in Houston, USA, können sich Astronautinnen und Astronauten mit ihrer zukünftigen Arbeitsumgebung bekannt machen. Bild: ESA

Der ESA-Astronautencorps

Im Jahr 1998 entschieden die am ISS-Programm (International Space Station) teilnehmenden ESA-Mitgliedsstaaten, einen gemeinsamen Europäischen Astronautencorps aufzubauen. Dazu wurden bis zum Jahr 2002 die Astronautinnen und Astronauten der Teilnehmerstaaten im ISS-Programm mit denen der ESA zusammengeschlossen. Die Schweiz nimmt mit den USA, Kanada, Japan, Russland und anderen Staaten durch ihre Beteilung am ESA Exploration-Programm teil. 

2009 starteten die ersten sieben Mitglieder des European Astronaut Corps ihre Grundausbildung. Im April 2024 kamen fünf neue Astronautinnen und Astronauten hinzu, darunter mit Marco Sieber auch ein Schweizer.

Marco Alain Sieber

Porträt von Marco Sieber im blauen Anzug der ESA-Astronauten.

geboren 1989, aufgewachsen im Emmental

2007: Matura in Burgdorf

Militär:

  • 2009: Ausbildung als Fallschirmjäger bei der Schweizer Armee
  • Arzt bei Swisscoy im Kosovo (KFOR) 

Als Arzt:

  • 2015: beste Abschlussprüfung an der Uni Bern im Fach Medizin; Doktorarbeit über robotergestützte Chirurgie
  • Assistenzarzt in Notfallmedizin im Inselspital Bern
  • Assistenzarzt in Anästhesie in Interlaken
  • Notarzt für Helikopter/Hubschrauberrettung
  • Facharztdiplom in vorklinischer Notfall- und Rettungsmedizin (SGNOR) 2021
  • Urologe am Spitalzentrum Biel

Als Astronaut:

  • 2021: Bewerbung als Astronaut
  • November 2022: Von der ESA als Astronaut selektioniert
  • April 2023: Beginn der Grundausbildung im Europäischen Astronautenzentrum der ESA in Köln
  • 22. April 2024: Graduation; die «Astronaut Certification» befähigt zur Langzeitmission im Weltraum

Kontakt
Kamlesh Brocard, SBFI Wissenschaftliche Beraterin, Abteilung Raumfahrt kamlesh.brocard@sbfi.admin.ch +41 58 465 14 87
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