Wie Marco Sieber zum Astronauten wurde
Er ist nach Claude Nicollier der zweite Schweizer Astronaut: Marco Sieber. Ein Einblick in sein Training am Europäischen Astronautenzentrum in Köln, bei dem Übungen in der Schwerelosigkeit genauso auf dem Programm stehen wie das Büffeln von Theorie.
Der Weltraum und die Dinosaurier – diese zwei Dinge faszinierten Marco Sieber als Kind. «Astronaut werden», sein Kindheitstraum, schien ihm als Europäer aber lange Zeit unerreichbar. Bis ihm ein Kollege 2021 vom Bewerbungsaufruf der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) erzählte. Die alte Begeisterung war sofort wieder geweckt und so bewarb er sich. Zusammen mit vier anderen setzte sich der gebürtige Emmentaler gegen 22500 Kandidatinnen und Kandidaten durch. Seit 2024 ist er offiziell Teil des Europäischen Astronautencorps der ESA.
Der Traumberuf wird Realität
Im November 2022 begann Sieber sein «Grundlagentraining» im Europäischen Astronautenzentrum der ESA in Köln. Der Beruf Astronautin bzw. Astronaut kombiniert verschiedene Disziplinen, was Marco Sieber sehr schätzt. Eine der Herausforderungen war das viele Wissen, das er sich aneignen musste. In Fächern wie Biologie und Neurowissenschaften hat Sieber als Arzt einen Vorteil, obwohl er sich als Urologe und Notarzt bisher kaum damit auseinandergesetzt hat, wie sich eine Fahrt in den Weltraum auf den menschlichen Körper auswirkt. Andere Disziplinen wie Ingenieurswissenschaften oder Physik waren für Marco Sieber dagegen eher neu und fielen ihm weniger leicht. Besonders faszinierend findet er Astronomie, ein für ihn bislang unbekanntes Fach.
«Ich bin eine sehr neugierige Person und möchte gerne Neues lernen und wissen, wie etwas funktioniert.»
Als Notarzt konnte sich Marco Sieber neben theoretischem Wissen auch Fähigkeiten aneignen, die man nicht aus Büchern lernt. Notärztinnen und Notärzte arbeiten viel und sind es gewohnt, unter Stress Entscheidungen treffen zu müssen. Für einen Astronauten ist das eine wichtige Fähigkeit. Auch die Arbeit mit wenig Ressourcen ist Marco Sieber als Notarzt in der Luftrettung gewohnt. Die Arbeit an abgelegenen Orten verlangt, nur so wenig Equipment mitzunehmen wie nötig – das gilt auch für den Weltraum.
Feuer löschen, die Raumstation reparieren
Körperlich müssen Astronautinnen und Astronauten topfit sein. Als Fallschirmspringer bei der Schweizer Armee sowie leidenschaftlicher Wanderer, Gleitschirmflieger, Skitourenfahrer und Kitesurfer bringt Marco Sieber dafür gute Voraussetzungen mit. Eines der Ausbildungsmodule, auf die er sich am meisten freute, war das Winter-Überlebenstraining in den spanischen Pyrenäen: Er liebt es, draussen in den verschneiten Bergen zu sein und abzuschalten. Ihre Handys mussten die Astronautenanwärter und -anwärterinnen abgeben. In diesem Überlebenstraining sind sie als Team zusammengewachsen. In einer neuen Umgebung weit weg von Freunden und Familie half man sich im Team gegenseitig bei den herausfordernden Aufgaben.
Neben dem Survival-Training absolvierte die «Klasse» viele weitere Übungen, so zum Beispiel ein Training in einer Zentrifuge, um sich auf die g-Kräfte vorzubereiten, die beim Start ins All und bei der späteren Landung auf der Erde auf den menschlichen Körper wirken. Trainiert wurde auch für Notfälle, zum Beispiel wie man Feuer löscht, erste Hilfe leistet oder auf See überlebt. Auch das, was im Weltraum Routine wird, wird bei der ESA geübt: sich bei Schwerelosigkeit fortbewegen oder Reparaturen an der Internationalen Raumstation durchführen. Diese Trainings finden nicht nur bei der ESA in Köln statt, sondern an verschiedenen Orten in Europa und auch bei der NASA in den USA.
Video: Im Training im Parabelflug-Training eignen sich die Astronautinnen und Astronauten verschiedene Fähigkeiten an – so übte Marco Sieber zum Beispiel, wie man in Schwerelosigkeit Equipment verstaut oder jemanden reanimiert. Quelle: ESA
«Ich dachte nicht, dass ich grosse Chancen hatte ausgewählt zu werden, aber ich habe mich einfach beworben und schlussendlich hat es geklappt.»
Wie es für Marco Sieber weitergeht
Nach der Graduation im April 2024 geht es für Marco Sieber zunächst in die USA. Denn bevor er vielleicht der erste Schweizer auf dem Mond sein könnte, fliegt er voraussichtlich für einen sechsmonatigen Aufenthalt zur internationalen Raumstation (ISS). Dafür werden er und die anderen neuen ESA-Astronautinnen und -Astronauten unter anderem bei der NASA in Houston trainieren. Im Johnson Space Center stehen mehrere ISS-Modelle zur Verfügung, in dem sie sich noch auf der Erde mit ihrer künftigen Arbeitsumgebung im Weltraum vertraut machen können.
Der ESA-Astronautencorps
Im Jahr 1998 entschieden die am ISS-Programm (International Space Station) teilnehmenden ESA-Mitgliedsstaaten, einen gemeinsamen Europäischen Astronautencorps aufzubauen. Dazu wurden bis zum Jahr 2002 die Astronautinnen und Astronauten der Teilnehmerstaaten im ISS-Programm mit denen der ESA zusammengeschlossen. Die Schweiz nimmt mit den USA, Kanada, Japan, Russland und anderen Staaten durch ihre Beteilung am ESA Exploration-Programm teil.
2009 starteten die ersten sieben Mitglieder des European Astronaut Corps ihre Grundausbildung. Im April 2024 kamen fünf neue Astronautinnen und Astronauten hinzu, darunter mit Marco Sieber auch ein Schweizer.
Marco Alain Sieber
geboren 1989, aufgewachsen im Emmental
2007: Matura in Burgdorf
Militär:
- 2009: Ausbildung als Fallschirmjäger bei der Schweizer Armee
- Arzt bei Swisscoy im Kosovo (KFOR)
Als Arzt:
- 2015: beste Abschlussprüfung an der Uni Bern im Fach Medizin; Doktorarbeit über robotergestützte Chirurgie
- Assistenzarzt in Notfallmedizin im Inselspital Bern
- Assistenzarzt in Anästhesie in Interlaken
- Notarzt für Helikopter/Hubschrauberrettung
- Facharztdiplom in vorklinischer Notfall- und Rettungsmedizin (SGNOR) 2021
- Urologe am Spitalzentrum Biel
Als Astronaut:
- 2021: Bewerbung als Astronaut
- November 2022: Von der ESA als Astronaut selektioniert
- April 2023: Beginn der Grundausbildung im Europäischen Astronautenzentrum der ESA in Köln
- 22. April 2024: Graduation; die «Astronaut Certification» befähigt zur Langzeitmission im Weltraum