«Im Wettbewerbsformat werden Talente gefördert und sie erhalten Anerkennung»

Bereits seit 20 Jahren fördert die Wissenschafts-Olympiade neugierige und begabte Schülerinnen und Schüler mit Wettbewerben in zehn Fächern, von Mathematik bis Philosophie. Ein guter Grund, um von den Co-Geschäftsleitenden Cyrille Boinay und Mirjam Sager mehr darüber zu erfahren.

16.09.2024
Autor/in: Simone Keller
Drei junge Mädchen in violetten T-Shirts sitzen an einem Laptop in einer Halle umgeben von anderen jungen Teilnehmenden.
Miteinander wird geforscht, getüftelt – und gelacht. So entstehen Austauschplattformen, Freundschaften und Räume für neue Impulse und Ideen. Bild: Tobias Stahel represented by Robert & René Hauser @H2 Agency Switzerland

Die Wissenschafts-Olympiade setzt sich für die Talentförderung ein. Wie tut sie das?

Cyrille Boinay: Hauptsächlich indem wir Begeagnungen zwischen Jugendlichen und Studierenden sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern schaffen. Miteinander wird geforscht, getüftelt – und gelacht. So entstehen Austauschplattformen, Freundschaften und Räume für neue Impulse und Ideen. Dies geschieht auf regionalem, nationalem und internationalem Niveau. Und durch das Wettbewerbsformat werden Talente nicht nur entdeckt und gefördert, sondern sie erhalten auch Anerkennung. 

Wir zählen auf die Lehrpersonen an den Mittelschulen. Sie motivieren zur Teilnahme an den Wissenschafts-Olympiaden. Darauf übernehmen über 450 Freiwillige die Förderung in Lagern und Workshops und geben ihr Fachwissen weiter. 

Warum ist diese Arbeit wichtig für die Schweiz?

Mirjam Sager: Weil es in der Schweiz viele talentierte Jugendliche gibt, die sich für Wissenschaft interessieren. Den Eltern, Schulen und Lehrpersonen fehlen aber oft Zeit oder Geld, um sie zusätzlich zu fördern. Das ist schade: Einerseits für die persönliche und berufliche Entwicklung der Jugendlichen. Andererseits aber auch für die Schweizer Wissenschaft und Wirtschaft: Es gehen wichtige Talente verloren. Hier springen wir mit unserem Angebot ein, natürlich neben vielen anderen zivilgesellschaftlichen Initiativen.

Es gibt noch einen weiteren Aspekt, der uns wichtig ist: Bei unseren Anlässen treffen sich Schülerinnen und Schüler aus dem Tessin, der Romandie und der Deutschschweiz. Es entsteht ein sozialer Zusammenhalt zwischen Jugendlichen, die an ihren eigenen Schulen vielleicht nicht immer auf Gleichaltrige mit denselben Interessen treffen. Das tut gut und motiviert. Darüber hinaus motivieren wir die Jugendlichen, sich später ebenfalls für die Wissenschafts-Olympiade oder ähnliche Vereine zu engagieren.

Cyrille Boinay

Ein Mann mit hellbraunen Haaren und einem blauen Hemd posiert lächelnd vor einer Betonwand mit einem grossen gelben Ring.

Cyrille Boinay amtet seit 2017 als Co-Geschäftsführer der Wissenschafts-Olympiade. Er ist Ökonom und arbeitet zusätzlich als Start-Up-Coach bei Innosuisse und als Dozent für Branding. Bei der WO ist er zuständig für die Finanzen, das Fundraising und die Pflege des Netzwerks. 

Wer sind die Zielgruppen der WO?

Cyrille Boinay: Bei unseren Wettbewerben stehen Jugendliche im Alter von 14 bis 19 im Fokus, wobei bei einigen Olympiaden auch Jüngere am Start sind, beispielsweise im Fach Robotik. Eine zweite Gruppe sind Schulleitungen, Fachschaften, Lehrpersonen und Eltern, ihnen helfen wir bei der Förderung talentierter junger Leute. 

Wie bringt sich die Schweizer WO in das internationale Netzwerk von Wissenschafts-Olympiaden ein? 

Mirjam Sager: Die Schweiz hat bereits drei grosse internationale Olympiaden organisiert, zuletzt 2023 die internationale Chemie-Olympiade an der ETH Zürich. Neben dem Wettbewerb haben wir den Teilnehmenden auch viele Lernmöglichkeiten geboten. Wir organisierten beispielsweise Besuche bei Forschungsprojekten und eine Forschungsmesse. Uns war wichtig, Chemie als eine Wissenschaft ins Zentrum zu stellen, die die Welt ein bisschen besser und nachhaltiger machen kann.

Des Weiteren bringen die Verantwortlichen aus der Schweiz ihr fachliches und didaktisches Know-how in das internationale Netzwerk ein. Sie entwickeln, übersetzen und korrigieren Prüfungsfragen – gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus bis zu 100 Ländern. 

Den Schweizer Wissenschafts-Olympiaden ist es wichtig, mehr jungen Frauen den Zugang zu jenen Olympiaden zu ermöglichen, die eher männlich geprägt sind. Dazu sind sie Teil des Vorstandes der European Girls’ Mathematical Olympiad und haben das Pendant in Informatik initiiert: Die European Girls’ Olympiad in Informatics. 

Mirjam Sager

Eine lächelnde Frau mit braunen Haaren im gelben Shirt posiert vor einer Betonwand mit einem grossen pinken Ring.

Mirjam Sager ist seit 2022 Co-Geschäftsführerin der Wissenschafts-Olympiade und verantwortlich für die Bereiche Freiwilligenarbeit und Kommunikation. Sie ist Literaturwissenschaftlerin und hat sich nach dem Studium im Bereich Strategic and Corporate Communication weitergebildet.

Sie feiern dieses Jahr das 20-jährige Bestehen. Wie haben sich die WO und ihre Arbeit über all diese Jahre verändert? Was macht sie besonders?

Mirjam Sager: Was klein begann, wurde immer wie grösser: Aus fünf Olympiaden wurden zehn. Aus rund 700 Teilnehmenden wurden 8000. Aus wenigen Freiwilligen wurden 450 und aus einer Geschäftsstellen-Mitarbeiterin wurden sechs. Wir haben uns stetig verändert und doch versucht, eines beizubehalten: eine Art Basisdemokratie, in der viel und immer wieder diskutiert wird. In den letzten Jahren haben uns intern auch mit Themen wie Chancengerechtigkeit oder Professionalisierung der Freiwilligenarbeit beschäftigt. 

Besonders macht unsere Arbeit, dass wir etwas Sinnvolles leisten für Jugendliche und Schulen. Und wir schaffen es immer wieder, Veränderungen einzuführen, die für alle passen. Auch wenn die jeweiligen Fach-Olympiaden und Vereinskulturen sehr unterschiedlich sein können.

Wo gibt es noch Potenzial? Wo sehen Sie die WO in 20 Jahren?

Cyrille Boinay: Am wichtigsten scheint mir, die Qualität des Angebots noch besser zu machen, sprich: die jungen Talente noch stärker zu fördern. In den kommenden vier Jahren fokussieren wir dabei auf drei Bereiche: Fachförderung, überfachliche Kompetenzen und Vernetzung. Durch diese Massnahmen sollen die Teilnehmenden noch mehr profitieren. Der im Vergleich zu ähnlichen Ländern bereits sehr gute Medaillenspiegel bei internationalen Wettbewerben soll sich weiter verbessern. Damit dies gelingt, benötigt die Wissenschafts-Olympiade auch mehr Freiwillige und hier sehe ich neben dem Fundraising die grosse Herausforderung. Dazu braucht es innovative Konzepte der Freiwilligenarbeit, welche an die Bedürfnisse der jungen Leute angepasst sind.

Junge Menschen sitzen vor einer Person an einem Whiteboard in einem Dorf in den Alpen.
Über 450 Freiwillige teilen ihr Wissen in Lagern und Workshops mit den Teilnehmenden. Bild: Schweizer Informatik-Olympiade
Ein junges Mädchen experimentiert in einem Labor mit einer Pipette und Flüssigkeit.
Pipettieren, programmieren, philosophieren: Die Wissenschafts-Olympiaden fördern Talente in zehn Disziplinen. Bild: Till Epprecht
Eine Gruppe von sechs jungen Teilnehmern steht auf einer Bühne und hält zwei große Schweizer Flaggen hoch.
Die Gewinnerinnen und Gewinner vertreten die Schweiz an internationalen Wissenschafts-Olympiaden und treffen auf Peers aus aller Welt. Bild: Internationale Mathematik-Olympiade 2024

Stichwort Freiwillige: Welches sind bei der Arbeit mit Freiwilligen die grössten Herausforderungen und Gewinne? 

Mirjam Sager: Was die 450 Freiwilligen leisten, ist beeindruckend. Sie geben ihre Freizeit her, um clevere Köpfe zu fördern. Unsere Freiwilligen zeichnen sich dadurch aus, dass sie sehr jung und sehr engagiert sind. Konkret: Zwei von drei Volunteers sind unter 30 Jahre altund ihr Engagement kommt einer 5%-Stelle gleich. Beide Punkte sind ein Gewinn: Wir bieten den Teilnehmenden eine Peer-to-Peer-Förderung, die viel zum Lernerfolg beiträgt. Gleichzeitig wirkt das hohe Engagement der Freiwilligen sehr motivierend auf die Teilnehmenden. 

Wie Cyrille Boinay bereits erwähnt hat, ist es sehr herausfordernd, das freiwillige Engagement aufrechtzuerhalten und auszubauen. Wir müssen neue Volunteers rekrutieren und wollen bestehenden Volunteers Spass, Anerkennung und gutes Freiwilligenmanagement bieten. Die Zukunft der Freiwilligenarbeit geht eher in Richtung Kurzeinsätze und weniger Verbindlichkeit, es wird also schwieriger werden, engagierte Leute für klassische Ämter wie Kassier oder Präsidentin zu finden. Hier müssen wir über die Bücher. 

Wer unterstützt die WO finanziell oder ideell und aus welchen Gründen?

Cyrille Boinay: Dank dem freiwilligen Engagement fällt der Finanzierungsbedarf verhältnismässig bescheiden aus. Die Wissenschafts-Olympiaden finanzieren sich über Fundraising bei Stiftungen, Firmen oder anderen Unterstützungspartnern. Das SBFI unterstützt das wissenschaftliche Nachwuchsförderungsprogramm zusammen mit 22 Kantonen und dem Fürstentum Liechtenstein zu rund 50%. 

Der Hauptgrund der Unterstützung liegt zweifellos bei der Sicherung der Innovationskraft im globalen Wettbewerb. Weitere Gründe können sehr unterschiedlich sein, von Positionierungsstrategien für Firmen bis zu Dankbarkeit von Donatorinnen und Donatoren. 

Über die Wissenschafts-Olympiade

Die Wissenschafts-Olympiaden fördern neugierige Jugendliche, wecken wissenschaftliche Begabungen und Kreativität und beweisen: Wissenschaft ist spannend. Jedes Jahr finden Workshops, Lager, Prüfungen und Wettbewerbe für über 8000 Talente in Biologie, Chemie, Geographie, Informatik, Linguistik, Mathematik, Philosophie, Physik, Robotik und Wirtschaft statt. Unterstützt wird die Wissenschafts-Olympiade zusammen mit Schweizer Jugend forscht und der Studienstiftung unter anderem vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation. Am 14. September 2024 feierte der Verband Wissenschafts-Olympiade in Bern sein 20-jähriges Jubiläum. 


Kontakt
Claudia Lippuner, SBFI Stv. Leiterin Ressort Talentförderung claudia.lippuner@sbfi.admin.ch +41 58 463 79 84
Autor/in
Simone Keller

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