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Wissenschaftliche Integrität: gemeinsames Verständnis zwischen der Schweiz und China

Swissnex in China und der Wissenschaftsverlag Frontiers haben gemeinsam den ersten chinesisch-schweizerischen Workshop zur wissenschaftlichen Integrität organisiert. Philippe Roesle und Libing Gu von Swissnex sowie Stephan Kuster von Frontiers ziehen Bilanz.

13.11.2023
Autor/in: Simone Keller

Wo liegen Ihre Prioritäten als Teil des Swissnex-Netzwerks, das die Schweiz im Bereich Bildung, Forschung und Innovation mit China und der Welt verbindet?

Philippe Roesle: Bei der Zusammenarbeit mit China im Bereich Bildung, Forschung und Innovation (BFI) müssen immer zuerst Chancen und Risiken abgewogen werden. In meiner Doppelrolle als CEO von Swissnex in China und Leiter der Abteilung für Wissenschaft, Technologie und Bildung an der Schweizer Botschaft in Peking muss ich gemeinsam mit meinen Teams sicherstellen, dass unsere Partner in der Schweiz (Universitäten, Forschende und Start-ups) ihr Engagement mit den chinesischen Partnern optimal ausrichten können. Als Schwerpunkte für die kommenden Jahre haben wir Smart Nutrition, Gesundheit und Energie/Umwelt definiert. Unsere Programme und Initiativen werden auf diese Schwerpunkte abgestimmt. Die drei Bereiche sind mit Herausforderungen verbunden, denen sowohl die Schweiz als auch China und die Welt gegenüberstehen, und sie ermöglichen eine exzellenzbasierte bilaterale Zusammenarbeit. 

Ein persönliches Anliegen ist mir zudem, den direkten Austausch zu vereinfachen, insbesondere unter Studierenden. Es fördert die Chinakompetenzen der Schweiz ungemein, wenn Studierende nach China kommen, sich mit Gleichaltrigen austauschen und persönliche Erfahrungen sammeln können. 

Foto von Philippe Roesle, Leiter von Swissnex in China

Philippe Roesle ist seit 2022 CEO von Swissnex in China. Zudem leitet er die Abteilung für Wissenschaft, Technologie und Bildung an der Schweizer Botschaft in Peking. Bevor er nach China zog, arbeitete er an der Schweizer Botschaft in London sowie in der Abteilung Internationale Beziehungen beim Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation.

Was ist der Hauptantrieb von Frontiers als Schweizer Unternehmen, das weltweit im Forschungs- und Innovationsbereich tätig ist?

Stephan Kuster: Frontiers wurde 2007 am EPFL Innovation Park als Start-up gegründet. Mittlerweile sind wir der sechstgrösste Wissenschaftsverlag der Welt. Wir verwenden das Open-Access-Modell und vereinen in unseren Redaktions- und Qualitätssicherungsprozessen menschliche Expertise mit KI-Technologie. Bereits zu Beginn bestand unsere Mission darin, Wissenschaft zugänglich zu machen, um die Zusammenarbeit und Innovation zu fördern und die Gesellschaft am Wissen, zu dessen Schaffung sie beigetragen hat, teilhaben zu lassen. Wir sehen politische Entschlossenheit, internationale Zusammenarbeit und wissenschaftliche Durchbrüche als Lösungsansatz für weltweite, existenzielle Herausforderungen. Dabei erachten wir die Weiterverbreitung von hochstehenden wissenschaftlichen Erkenntnissen als Erfolgsfaktor. 

Foto von Stephan Kuster, Leiter Öffentlichkeitsarbeit bei Frontiers

Stephan Kuster ist Leiter der Öffentlichkeitsarbeit bei Frontiers. Frontiers ist einer der weltweit grössten Wissenschaftsverlage; alle publizierten Inhalte sind über Open Access kostenlos und für alle frei zugänglich. Stephan Kusters Rolle umfasst die Zusammenarbeit mit Regierungen, Geldgebern, Universitäten, Bibliotheken und politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern weltweit, um gemeinsam die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Open Access zum Standard bei der Veröffentlichung von peer-review-basierten Forschungsergebnissen wird.

Swissnex in China und Frontiers haben sich zusammengeschlossen und im Mai 2023 den ersten chinesisch-schweizerischen Workshop zu wissenschaftlicher Integrität organisiert. Wie ist dieses gemeinsame Projekt zustande gekommen?

Philippe Roesle: Swissnex in China verfolgt das strategische Ziel, die schweizerisch-chinesische Zusammenarbeit im Bereich der akademischen Forschung zu stärken. Dazu gehört, das gegenseitige Verständnis der Forschungsgrundsätze zu fördern (z. B. Forschungsfreiheit und Meinungsfreiheit). Denn diese bilden die Grundlage der akademischen Forschung. Die wissenschaftliche Integrität erschien uns besonders zentral, weil unsere derzeitigen Konzepte für Autorenschaft, Peer-Review, Wissensvermittlung und Datenverarbeitung durch die rasche Verbreitung und Entwicklung neuer Technologien, beispielsweise KI-basierte Applikationen wie ChatGPT, ins Wanken geraten. Eine gemeinsame Auffassung dieser Aspekte rund um die Forschungsintegrität sollte auch zur Weiterentwicklung der schweizerisch-chinesischen Zusammenarbeit beitragen. 

Stephan Kuster: Die Schweiz und China sind weltweit führende Player in Forschung und Innovation. Obwohl sie sehr unterschiedliche Ziele und Ansätze verfolgen, stützen beide Länder ihren wirtschaftlichen Erfolg auf Wissen. Und auf Zusammenarbeit: Beide Länder erachten Forschungsintegrität und Zusammenarbeit als wichtige Faktoren für bahnbrechende wissenschaftliche Erkenntnisse. Der Austausch über Erfahrungen und Good Practices in der wissenschaftlichen Integrität kommt beiden Wissenschaftssystemen zugute. 

Und für uns als Verlag hat die Integrität der veröffentlichten Forschung oberste Priorität, sowohl in Bezug auf die globale Wissensproduktion als auch auf unseren eigenen Erfolg. Wir arbeiten unermüdlich daran, die Qualität der von uns veröffentlichten Forschung zu sichern. 

Wie haben Sie diesen Dialog dem Publikum nähergebracht und was sind die wichtigsten Erkenntnisse?

Libing Gu: Ausgangspunkt waren das breite Netzwerk, das Swissnex in China aufgebaut hat, sowie die Zusammenarbeit mit Frontiers und der wissenschaftlichen Nationalbibliothek der chinesischen Wissenschaftsakademie. Wir haben darauf geachtet, Referentinnen und Referenten aus verschiedenen Bereichen auszuwählen, darunter Personen aus nationalen Behörden, Verlagen, Institutionsbibliotheken und Universitäten. Die Themen umfassten die Rolle von Bibliometrie und Technologie bei der Gewährleistung der wissenschaftlichen Integrität, das Weitergeben der Forschungsintegrität an die nächste Generation sowie die Chancen und Risiken von KI-gestützter Forschung. Vertreterinnen und Vertreter aller Stakeholder betonten, wie wichtig Verlässlichkeit, Ehrlichkeit, Respekt und Verantwortung sind.

Stephan Kuster: Der Anlass unterstrich, dass wissenschaftliche Durchbrüche und die zugrundeliegende Forschung von einem engmaschigen Netzwerk aus verschiedenen Akteuren des Forschungszyklus abhängen. Alle Akteure haben bei der Wahrung der wissenschaftlichen Integrität eine Rolle zu spielen. Und wenn es Geldgebern, Forschungsinstitutionen und Verlagen gelingt, ihre Zusammenarbeit zu vertiefen und ihre Best Practices miteinander zu teilen, können sie ihre kollektive Verantwortung wahrnehmen. Dann können wir vertrauen, uns öffnen und wissenschaftliche Forschung weltweit teilen. 

Foto von Libing Gu, Leiterin der akademischen Beziehungen von Swissnex in China

Libing Gu ist seit 2018 Leiterin der Akademischen Beziehungen bei Swissnex in China. Zuvor war sie als Projektleiterin im Amt für Internationale Beziehungen einer chinesischen Universität tätig und hauptsächlich für die Förderung der internationalen Zusammenarbeit im Hochschulwesen und in der wissenschaftlichen Forschung zuständig.

Wie sieht das Ergebnis aus?

Philippe Roesle: Gemeinsam haben die drei Partnerorganisationen des Workshops die Ergebnisse der Diskussionen in einem White Paper zusammengefasst und veröffentlicht. Es skizziert, wo sich die Schweiz und China in Bezug auf die wissenschaftliche Integrität einig sind, wo Diskrepanzen bestehen und in welchen Bereichen gemeinsame Herausforderungen angegangen werden können. Es wurden Empfehlungen und weitere Schritte formuliert, um das gegenseitige Verständnis von Forschungsintegrität zu vertiefen.

Welche Kooperationen sind für die Zukunft geplant?

Libing Gu: Uns allen ist klar, dass wissenschaftliche Integrität ein vielseitiger Bereich mit zahlreichen Unterthemen ist, die gezielte Aufmerksamkeit erfordern. Für den nächsten Workshop käme beispielsweise ein spezifisches Unterthema wie der Wandel durch den Einfluss von künstlicher Intelligenz auf die künftige Forschung infrage. 

Welchen Wert misst Frontiers solchen Kooperationen bei? 

Stephan Kuster: Am bemerkenswertesten war die Erkenntnis, dass die Schweiz und China in der aktuellen Herangehensweise viele Gemeinsamkeiten aufweisen und dass beide Länder Forschungsintegrität als gemeinsame Verantwortung ansehen, die durch die Zusammenarbeit von Ländern und Stakeholdern am besten wahrgenommen werden kann.  

Wir stellen einen wachsenden internationalen Konsens darüber fest, dass Wissenschaft öffentlich zugänglich sein muss, es aber noch viel zu tun gibt. Die Zusammenarbeit ermöglichte uns einen wertvollen Schulterschluss mit führenden Forschenden und Institutionen in China, die das Ziel der zugänglichen Wissenschaft teilen und verstehen. 

Swissnex spielt eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, zwischen schweizerischen Akteuren und internationalen Partnern Brücken zu schlagen, von denen alle Seiten profitieren. Der Workshop ist ein gutes Beispiel dafür.

Über Swissnex

Swissnex ist das weltweite Schweizer Netzwerk für Bildung, Forschung und Innovation. Swissnex unterstützt Partner bei der internationalen Vernetzung und ihrem Engagement im globalen Austausch von Wissen, Ideen und Talenten und trägt damit dazu bei, das Ansehen der Schweiz als Innovations-Hotspot zu stärken.


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Roman Kern, SBFI Leiter Ressort Swissnex Netzwerk roman.kern@sbfi.admin.ch +41 58 460 54 29