Schweizer Hochschulen werden immer nachhaltiger
Die Rating-Studie 2021 des WWF zu Nachhaltigkeit an Schweizer Hochschulen zieht eine gesamthaft positive Bilanz. Sie zeigt: Nachhaltigkeitskonzepte sind für die Hochschulen als Bildungs-, Forschungs- und Dienstleistungsinstitutionen von strategischer Bedeutung.
Der Bundesrat adressiert mit der Botschaft zur Förderung von Bildung, Forschung und Innovation 2021–2024 drei den ganzen BFI-Bereich übergreifende Themen. Neben der Digitalisierung und der Chancengerechtigkeit zählt die nachhaltige Entwicklung dazu. Sie ist auf übergeordneter Ebene Gegenstand der Agenda 2030 der UNO, welche 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung formuliert hat. Der WWF hat bereits 2017 und 2019 untersucht, wie die Schweizer Hochschulen das facettenreiche Thema «Nachhaltigkeit» in ihre Organisation und Strategie und in Lehre und Forschung einbringen. Seine jüngste, zusammen mit econcept erarbeitete Studie misst den Stand der Dinge im Jahr 2021. Sie kam dank der Teilnahme von 28 Hochschulen an einer entsprechenden Umfrage zustande.
Entwicklungen in der Hochschullandschaft
Die Thematisierung der nachhaltigen Entwicklung an Hochschulen ist zwar ein eher neueres Phänomen, trotzdem beziehen die meisten Schweizer Hochschulen den Nachhaltigkeitsansatz bereits konsequent in ihren Betrieb ein. Die WWF-Studie 2021 zeigt, dass diese positive Entwicklung an den Hochschulen gegenüber 2019 weiter zugenommen hat und weiter zunimmt. Besonders auf Stufe Hochschulleitungen lassen sich deutliche Veränderungen nachweisen. So haben die meisten Hochschulen eine Nachhaltigkeitsstrategie inklusive Massnahmenkatalog entwickelt.
Unterschiedliche Ressourcen, unterschiedliche Tempi
Die universitären Hochschulen befassen sich schon länger mit dem Thema der Nachhaltigkeit und schliessen entsprechend besser ab als die kleineren Fachhochschulen, denen weniger personelle und finanzielle Ressourcen zur Umsetzung von Nachhaltigkeits-Strategien zur Verfügung stehen. Letztere können aber von ihrer geringen Grösse auch profitieren: Sie sind organisatorisch flexibler und neue Prozesse werden schneller umgesetzt. Von allen untersuchten Hochschulen haben sich die Fachhochschulen seit 2019 am stärksten verbessert.
Die pädagogischen Hochschulen (PH) finden sich auf den hinteren Rankingplätzen. Viele PH betonen jedoch, dass auch sie sich immer intensiver mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Laut WWF ist die Sensibilität für das Thema auch bei ihnen stark ausgeprägt.
Nachhaltige Entwicklung im BFI-Bereich
Nachhaltige Entwicklung (NE) ist ein wichtiges BFI-politisches Querschnittsthema in den Jahren 2021–2024 und darüber hinaus. Es findet sich unter anderem prominent in den aktuellen Mehrjahresprogrammen von swissuniversities, des ETH-Rats, des Schweizerischen Nationalfonds und von Innosuisse. NE ist Gegenstand grundlegender Forschungsarbeiten der Institutionen im ETH-Bereich und sie wird beispielsweise über das Projekt «Nachhaltige Entwicklung an Schweizer Hochschulen – Studierendenprojekte (U Change)» im Rahmen des Hochschulförderungs- und -koordinationsgesetzes vom Bund unterstützt. Ein Nachfolgeprojekt ist für die Periode 2025–2028 in Planung. Bildung für Nachhaltige Entwicklung ist nicht zuletzt auch einer der Aspekte, die in die fortlaufende Berufsentwicklung einflies- sen. Mit der «Orientierungshilfe Nachhaltige Entwicklung in der Berufsbildung» stellt das SBFI den Berufsverbänden und -branchen entsprechende Grundlagen zur Verfügung.
WWF-Empfehlungen für eine nachhaltigere Hochschullandschaft
Obwohl bei allen Hochschultypen viel Engagement erkennbar ist, befindet sich gemäss WWF noch keine Institution in einer «Vorreiterinnen»-Rolle (höchste Kategorie im Bericht). Doch nicht weniger als zehn Hochschulen (sieben universitäre und drei Fachhochschulen) erhalten bereits das Label «ambitioniert». Dabei ortet der WWF Mängel in Bezug auf die festgelegten Ziele und Massnahmen: über die Hälfte der teilnehmenden Hochschulen hat z.B. noch keinen endgültigen Entscheid zur vollständigen Dekarbonisierung ihres Betriebs gefällt.
Zuhanden aller Hochschulakteure (Trägerschaften und Hochschulgremien wie die Schweizerische Hochschulkonferenz und die Rektorenkonferenz swissuniversities; einzelne Hochschul-, Fakultäts-, Departements- und Institutsleitungen) formuliert der WWF drei übergeordnete Empfehlungen:
- Sich an einer starken Nachhaltigkeit orientieren, die die planetaren Grenzen respektiert und die Umwelt nicht nur als wirtschaftliche Ressource sieht.
- Ein breites Nachhaltigkeitsverständnis pflegen und weiterentwickeln, das die Dimensionen Umwelt, Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur, Technik, lokale bis globale Perspektiven, heutige und zukünftige Generationen integral umfasst.
- Ambitioniert und zeitnah handeln.
Interview mit Prof. Frédéric Herman
Nach einer Ausbildung zum Bauingenieur macht Frédéric Herman seinen PhD in Geophysik an der Universität von Canberra. Anschliessend arbeitet er am California Institute of Technology sowie an der ETH Zürich. Als Senior Scientist entwickelt er unter anderem ein Forschungsprogramm über die Wechselwirkungen zwischen dem Klima und den Prozessen auf der Erdoberfläche. Im Jahr 2012 wechselt er an die Universität Lausanne, wo er 2018 zum Dekan der Fakultät für Geo- und Umweltwissenschaften gewählt wird. Die Überzeugung der Notwendigkeit eines interdisziplinären Denkens begleitet ihn seit August 2021 als Rektor der Universität. Bild: Catherine Leutenegger
Im Nachhaltigkeitsbericht des WWF und econcept nimmt Ihre Universität einen sehr guten Rang ein, sie steht auf Platz 2. Was tut die Universität Lausanne, um die Nachhaltigkeit zu fördern?
Die Universität Lausanne stellt die Nachhaltigkeit seit über zehn Jahren in den Mittelpunkt ihres Denkens und Handelns. Als Beweis dafür ist diese auf höchster Ebene verankert, indem seit 2011 eine eigene Nachhaltigkeitsstelle eingerichtet wurde. Seit 2019 fördert zudem das Kompetenzzentrum für Nachhaltigkeit das Bewusstsein in Lehre und Forschung. Die Governance der Universität entwickelt sich also ständig weiter, um den ökologischen und sozialen Wandel innerhalb der Institution immer stärker zu fördern. Erweitert wurde dieses integrative Denken letztes Jahr mit einem Gremium aus den Direktorinnen und Direktoren der Dienststellen sowie aus Mitgliedern der sieben Dekanate. Es soll Massnahmen zur Förderung eines ökologischen und sozialen Übergangs ausarbeiten und sie der Direktion vorschlagen.
Das Kompetenzzentrum für Nachhaltigkeit zielt darauf ab, die Interdisziplinarität im Bereich der Nachhaltigkeit zu fördern. Inwiefern kann die Universität Lausanne von diesem Projekt profitieren?
Die Arbeit des Kompetenzzentrums für Nachhaltigkeit (CCD) ist transversal und ermöglicht es, die Bedürfnisse in Bezug auf den ökologischen Wandel innerhalb der Universität Lausanne zu identifizieren. Das CCD ermöglicht es Forschenden und gesellschaftlichen Akteuren, sich durch transdisziplinäre Veranstaltungen und Projekte zu vernetzen und so den Wissenstransfer zu erleichtern. Das CCD engagiert sich auch im Bereich der Lehre und Forschung: Es arbeitet stetig am bestehenden Lehrangebot zum Thema Nachhaltigkeit und bezieht die Erwartung der Studierenden in seine Entscheidungen ein. Schliesslich lancierte das CCD mehrere Projekte wie Volteface, eine Forschungsplattform zum ökologischen Wandel, oder Catalyse, ein Rollenspiel, welches das Verständnis zwischen Wissenschaft und Politik fördern soll.
Wo sehen Sie Verbesserungspotenzial im Bereich der Nachhaltigkeit?
Generell will die Direktion den ökologischen Wandel weiterhin in den Aufgaben der Institution verankern. Die 2022 von der Direktion ins Leben gerufene «Assemblée de la transition» soll dabei unterstützen. 60 Mitglieder, welche nach dem Zufallsprinzip aus der Universitätsgemeinschaft ausgewählt wurden, erarbeiten gemeinsam Massnahmen für einen Übergangsplan. Am Ende des Prozesses wird im Juli 2023 der Direktion ein Vorschlag vorgelegt, die über dessen Umsetzung entscheidet.
Die Nachhaltigkeit wird zudem vermehrt in die Lehre eingebaut. Die Studierenden sollen dabei begleitet werden, ihren Teil zum ökologischen Wandel beizutragen.
Interview mit Prof. Joël Mesot
Joël Mesot ist ordentlicher Professor für Physik und seit Anfang 2019 Präsident der ETH Zürich. Zuvor war er während zehn Jahren Direktor des Paul Scherrer Instituts. In seiner Funktion als ETH-Präsident trägt er die politische und rechtliche Gesamtverantwortung und ist unter anderem für die Ausrichtung der Nachhaltigkeit an der ETH Zürich zuständig. Bild: Markus Bertschi
Im Nachhaltigkeitsbericht des WWF und econcept schneidet die ETH Zürich von allen Hochschulen in der Schweiz am besten ab. Grund dafür sind unter anderem zahlreiche Initiativen, die sich für Nachhaltigkeit einsetzen. Wieso sind solche Projekte so wichtig?
Es braucht sowohl Bottom-up-Initiativen wie auch Top-Down-Vorgaben, um etwas zu bewirken. Viele gute Ideen und Anstösse kommen von unseren Studierenden oder aus den Departementen. Das Thema ist aber auch auf Leitungsebene schon seit vielen Jahren verankert, unter anderem mit einer/einem Delegierten des Präsidenten für Nachhaltigkeit sowie verschiedenen Fachteams, die eine wichtige Rolle bei der Sensibilisierung des Themas und der Erarbeitung von Lösungen spielen. Ein wichtiges Element für unser gutes Abschneiden im genannten Bericht ist die Datenbasis aus unserem Betrieb. Damit kann die ETH ihre eigene Entwicklung verfolgen und die Wirksamkeit von Massnahmen stetig überprüfen.
Die ETH will bis 2030 die Klimaneutralität erreichen. Was wird unternommen, um dieses Netto-Null-Ziel zu erreichen?
Kurz gefasst: Es gilt, CO2-Emissionen zu vermeiden, zu reduzieren und zu kompensieren – und zwar in dieser Reihenfolge der Prioritäten. Wir konnten mit Investitionen, beispielsweise ins Anergienetz auf dem Campus Hönggerberg, die Emissionen durch Heizen und Kühlen bereits massiv reduzieren. Wir nutzen den Campus als Reallabor, um neue Technologien zu testen. Andere Projekte befassen sich mit Reduktionszielen und Verhaltensänderungen bei Flugreisen im Wissenschaftsbetrieb oder bei der Menüwahl in unseren Campus-Restaurants. Wir sind zudem daran, CO2-Emissionen in der Wertschöpfungskette zu eruieren, welche die ETH durch extern eingekaufte Dienstleistungen verursacht. Dieser sogenannte Scope-3-Bereich stellt wohl die grösste Herausforderung bei der Reduktion unseres ökologischen Fussabdrucks dar. Schliesslich leisten unsere Spin-offs einen wichtigen Beitrag, die mit ihren Innovationen die Schweiz und die Welt bei der Dekarbonisierung unterstützen. Wir brauchen noch mehr davon, damit wir möglichst schnell und nachhaltig eine fossilfreie Zukunft anpeilen können.
Wo sehen Sie im Bereich der Nachhaltigkeit an der ETH noch Verbesserungspotential?
Wir lernen stetig dazu. Wir haben viel Erfahrung mit freiwilligen Massnahmen, die aber insgesamt noch nicht genügend greifen. Wir stehen an einem Punkt, wo es mehr Verbindlichkeit braucht. Mit der Publikation des Whitepapers «Netto-Null» haben wir uns das Ziel gesetzt, bis 2030 Netto-Null zu erreichen. Das ist eine riesige Aufgabe, aber auch eine Chance. Klimaneutralität ist eine gemeinsam verantwortete Aufgabe, die ein konzertiertes und entschlossenes Handeln in allen Kernbereichen der ETH nötig macht. Wir sind nicht nur Teil der Gesellschaft, wir wollen auch Teil der Lösung sein, um diese Bestrebungen Realität werden zu lassen.