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Ein Blick in die extremsten Umgebungen des Universums

Das Cherenkov Telescope Array Observatory (CTAO) ist ein hervorragendes Beispiel erfolgreicher internationaler Wissenschaftszusammenarbeit von 13 Ländern und der Europäischen Organisation für Astronomie (ESO). Die Universität Genf, die die Schweiz in dieser Organisation vertritt, hat im Juni 2023 den Rat des CTAO empfangen.

20.09.2023
Autor/in: Simon Berger
Illustration von sieben Teleskopen auf der Insel La Palma
Künstlerische Interpretation der CTAO-Teleskope auf der Kanaren-Insel La Palma. Illustration: Gabriel Pérez Díaz

Das CTAO wird an seinen beiden Teleskop-Standorten in der Atacama-Wüste (Chile) und in La Palma (Kanaren) ein Feld mit insgesamt über 60 Teleskopen bilden und somit das künftig weltweit grösste Observatorium für erdbasierte Gammaspektroskopie sein. Die Vorbereitungsarbeiten dafür laufen auf Hochtouren und bringen etwa 1400 Expertinnen und Experten aus Teilchenphysik, Hochenergie-Astrophysik und Ingenieurswesen zusammen. Die hochempfindlichen Teleskope des CTAO sollen 10-mal besser als die bestehenden werden. Sie werden Beobachtungen von hochenergetischen Gammastrahlen mit nie dagewesener Präzision ermöglichen. Damit wollen Forschende grosse Fragen aus Astrophysik, Teilchenphysik und der Vereinigung der beiden Disziplinen, der Astroteilchenphysik, beantworten: Was sind die Quellen der sogenannten kosmischen Strahlung, also der ionisierten Atomkerne, die unsere Galaxie mit unglaublichen Energien durchqueren? Wie genau speisen die schwarzen Löcher, die im Zentrum eines aktiven Galaxie-Kerns vorkommen, die Gasströme, die sie ausspeien?

Der Bau einer grossen Forschungsinfrastruktur

Die fünfjährige Bauphase des Teleskop-Arrays von CTAO soll noch 2023 beginnen. Auf der Nordhalbkugel werden die Teleskope in La Palma auf den Kanarischen Inseln zu stehen kommen. Die vier grossen Teleskope mit 23 Metern Durchmesser und die neun mittleren Teleskope mit 11,5 Metern Durchmesser sollen tief- und mittelenergetische Gammastrahlen beobachten. Der Prototyp eines grossen Teleskops, genannt LST-1, steht bereits. Die vier grossen, 14 mittleren und 37 kleinen Teleskope auf der Südhalbkugel werden in unmittelbarer Nähe des ESO-Standorts in der chilenischen Atacama-Wüste errichtet und sich auf mittel- bis hochenergetische Gammastrahlen konzentrieren.

Was sind Gammastrahlen?

Gammastrahlen sind die energiereichste Form elektromagnetischer Strahlung. Auf der Erde werden sie zum Beispiel bei radioaktiven Zerfällen erzeugt. In den Weiten des Universums hingegen entstehen sie in kosmischen Beschleunigern, das heisst in äusserst energiereichen Umgebungen wie Sternenexplosionen, wenn Teilchen wie Protonen und Neutronen beschleunigt werden und mit anderen Teilchen kollidieren. Die stärksten Gammastrahlen sind so energiereich, dass sie mit denkbaren irdischen Beschleunigern nicht erzeugt werden können.

Auf der Erdoberfläche können Gammastrahlen nur indirekt erkannt werden, denn sie verwandeln sich beim Auftreffen auf die Atmosphäre in einen Schauer von neuen Teilchen. Diese bewegen sich schneller fort als das Licht in der Atmosphäre und geben ein schwaches blaues Licht ab – das sogenannte Cherenkov-Licht. Dieses wird in Teleskopen, die teilweise mehr als eine Milliarde Bilder pro Sekunde aufnehmen können, registriert.

In Zeuthen, in der Nähe von Berlin, wird auf dem Gelände des Deutschen Elektronen-Synchrotrons (DESY) das Science Data Management Centre des CTAO den wissenschaftlichen Betrieb des Observatoriums koordinieren, also auch die Software-Wartung und die Verarbeitung der gemessenen Daten. Das CTAO soll gewaltige Datenmengen liefern: Bis 2030 werden etwa 100 Petabytes erwartet, was ungefähr 3,5 Millionen Spielfilmen in 4K-Auflösung entspricht. Die Daten sollen in vier Off-Site Data Centres in Europa aufbewahrt werden, darunter im Swiss National Supercomputing Centre (CSCS) in Lugano. Dies ist ein wichtiger Sachbeitrag der Schweiz an das CTAO.

Schweizer Beteiligung an CTAO

Die Schweizer Forschungsgemeinschaft hat massgeblich zur Entwicklung der nötigen Hightech-Instrumente beigetragen. Seit Anfang der 2000er-Jahre beteiligen sich die Universitäten Zürich und Genf sowie die ETH Zürich am CTA-Konsortium, welches unverzichtbare konzeptionelle und technische Vorarbeiten geleistet hat. Aufgrund ihrer führenden Position in der Projektentwicklung koordiniert die Universität Genf seit Dezember 2019 die schweizerische CTAO-Kollaboration und treibt die Konsolidierung der künftigen Schweizer Nutzergemeinschaft voran.

Zu Besuch in Genf

Vom 13. bis 15. Juni 2023 war die Universität Genf Gastgeberin für den Rat des CTAO sowie für das Board of Governmental Representatives, welches die Überführung in eine Organisation auf zwischenstaatlicher Stufe vorbereitet und begleitet. Diese Gelegenheit wurde für eine Kontaktaufnahme zwischen CTAO und Verantwortlichen des CERN sowie des Geneva Science and Diplomacy Anticipator (GESDA) genutzt. Das SFBI hat den Anlass unterstützt.

Nun stehen bereits die nächsten Schritte an: Um den Bau der Teleskope voranzubringen und den Betrieb des Observatoriums sicherzustellen, soll CTAO bald in eine Organisation auf zwischenstaatlicher Stufe umgewandelt werden. Passend dazu sieht der Bundesrat vor, dass die Schweiz 2025 Mitglied wird. Dies erlaubt es der Schweiz nicht nur, an möglichen bahnbrechenden Entdeckungen der physikalischen Grundlagenforschung teilzuhaben, sondern auch die neusten Entwicklungen im maschinellen Lernen und in bildgebender Technik mitzuprägen und das spezialisierte Knowhow ihrer Industrie zum Bau von Teleskopen einzubringen, seien es aktive Steuerungskomponenten oder Energiespeichersysteme. 

Der Prototyp eines Teleskopes
Der Prototyp eines grossen Teleskops von CTAO, genannt LST-1, auf der Kanaren-Insel Palma. Illustration: Tomohiro Inada

Kontakt
Simon Berger, SBFI Wissenschaftlicher Berater, Ressort Internationale Forschungsorganisationen simon.berger@sbfi.admin.ch +41 58 462 11 33
Autor/in
Simon Berger