Die Schweiz im Zentrum der europäischen Neutronenforschung

Im Juni 2024 hat die Schweiz ihre Beteiligung am Institut Laue-Langevin im französischen Grenoble verlängert. Damit hat die Schweizer Forschungsgemeinschaft, die für ihre Expertise im Neutronenbereich weltweit anerkannt ist, weiterhin Zugang zu dieser einzigartigen Infrastruktur mit einer der leistungsfähigsten Neutronenquellen der Welt.

04.07.2024
Autor/in: Patrice Soom
Die Vertreter des SBFI und des ILL stehen vor einem Pool des ILL, tragen entweder grüne oder weiße Kittel und schauen in die Kamera.
Die Schweizer Delegation besichtigt den Hochflussreaktor des ILL. Das blaue Leuchten im Wasser ist die Tscherenkow-Strahlung, die vom einige Meter weiter unten liegenden Reaktorkern ausgelöst wird. Bild: ILL

Die internationale Forschungsorganisation Institut Laue-Langevin (ILL) wurde 1967 von Frankreich und Deutschland gegründet. Rasch schloss sich ihnen das Vereinigte Königreich an. Rund zehn weitere Staaten, darunter seit 1988 auch die Schweiz, beteiligen sich als wissenschaftliche Mitglieder am ILL. Basis für diese Beteiligung sind Abkommen, die bisher auf fünf Jahre befristet waren. Das ILL wurde 1971 in Betrieb genommen und hat sich dank seines Hochflussreaktors als eine der führenden Forschungsinfrastrukturen des europäischen Kontinents etabliert. Der Hochflussreaktor versorgt rund 40 Experimentierstationen, die kürzlich im Rahmen des Verbesserungsprogramms «Endurance» auf den neusten Stand gebracht wurden.

Zugang bis mindestens 2028 gesichert

Der am 6. Juni 2024 in Grenoble von Staatssekretärin Martina Hirayama unterzeichnete Vertrag verlängert die Beteiligung der Schweiz am ILL zunächst für den Zeitraum 2024 bis 2028. Das Parlament hatte dafür bereits 2020 einen Kredit von zwölf Millionen Franken gewährt. Die Verpflichtung der Schweiz wird bis auf 26,4 Millionen Franken erhöht und ins Jahr 2033 ausgeweitet, sofern das Parlament im Rahmen der Botschaft zur Förderung von Bildung, Forschung und Innovation 2025–2028 die erforderlichen Ressourcen genehmigt. 

Die Verlängerung der Schweizer Beteiligung am ILL ist für die im Neutronenbereich tätigen Schweizer Forschenden von entscheidender Bedeutung. Sie sind mit ihren knapp fünf Prozent der insgesamt am ILL zur Verfügung stehenden Strahlzeit an nicht weniger als zehn Prozent der auf Daten des ILL gestützten Publikationen beteiligt. Neben den Schweizer Forschungsinstitutionen, die ihre wissenschaftlichen und technologischen Kooperationen mit dem ILL weiterführen, profitieren von der Verlängerung auch Schweizer Unternehmen, die vom ILL Aufträge für einen Gesamtbetrag von schätzungsweise rund einer Million Franken jährlich erhalten.

Zwei Vertreter des SBFI und zwei Vertreter der ILL sitzen nebeneinander auf einem mit blauem Tuch bedeckten Tisch. Vor ihnen liegen zwei Exemplare des Vertrages, den sie soeben unterzeichnet haben.
Die Staatssekretärin Martina Hirayama, der Direktor des ILL Ken Andersen und der Leiter Administration des ILL Martin Walter unterzeichneten am 6. Juni 2024 ein Abkommen zur Verlängerung der Beteiligung der Schweiz am ILL. Bild: ILL

Schweizer Exzellenz in der Neutronenforschung stärken

Die weltweit anerkannte Schweizer Exzellenz im Bereich der Neutronen stützt sich auf drei Säulen. Erstens ermöglicht die Mitgliedschaft am ILL den Schweizer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern seit nunmehr 36 Jahren Zugang zur produktivsten Neutronenquelle der Welt. Zweitens liefert die Schweiz dank ihrer bedeutenden nationalen Neutronenquelle, der SINQ (Swiss Spallation Neutron Source), einen wesentlichen Beitrag zur europäischen Neutronenlandschaft. Die SINQ zählt heute zu den vier grössten Quellen Europas. Sie wird seit 1996 vom Paul Scherrer Institut betrieben und stellt ihren schweizerischen und internationalen Nutzerinnen und Nutzern 17 hochmoderne Instrumente zur Verfügung, welche die Ausstattung des ILL ergänzen. Um die Weiterentwicklung dieses exzellenten Forschungszweigs nachhaltig sicherzustellen, hat sich die Schweiz 2015 der Europäischen Spallationsquelle (ESS) ERIC angeschlossen. Die ESS befindet sich derzeit im schwedischen Lund im Bau und soll bis 2030 zur weltweit fortschrittlichsten Neutronenquelle avancieren. Verschiedene Schweizer Forschungsinstitutionen entwerfen und entwickeln im Auftrag des Bundes Ausstattungen und Instrumente (oder Teile davon) für die ESS und sind dadurch eng in den Bau eingebunden.

Die Schweiz zeichnet sich somit im Neutronenbereich durch ihre herausragende Forschungsgemeinschaft, ihre aussergewöhnliche technische Expertise im Bau und Betrieb von Neutroneninfrastrukturen und durch ihre Beteiligung an wegweisenden Forschungsinfrastrukturen aus. Entsprechend nimmt sie in Europas Neutronenforschung einen zentralen Platz ein.

Die Bedeutung der Neutronenquellen

Die Verwendung von Neutronenstrahlen gehört neben den Röntgenstrahlen und der Elektronenmikroskopie zu den drei wichtigsten Techniken für die Erforschung der Materie auf atomarer Ebene. Aufgrund ihrer einzigartigen Eigenschaften werden Neutronenstrahlen in der Grundlagenphysik, in der Chemie sowie in den Material- und Lebenswissenschaften eingesetzt. Insbesondere in der Magnetismusforschung sind sie unerlässlich und damit für die modernen Technologien entscheidend. Neutronenquellen leisten beispielsweise einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung hochleistungsfähiger und langlebiger Batterien oder zur strukturellen Untersuchung von Hitzeschildern, die in der Raumfahrt verwendet werden. Das ILL ist ausserdem einer der wichtigsten europäischen Produzenten von Radioisotopen für die klinische Krebsbehandlung.


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Patrice Soom, SBFI Wissenschaftlicher Berater Ressort Internationale Forschungsorganisationen patrice.soom@sbfi.admin.ch +41 58 462 89 42
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