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Der Hype um «Quantum» und die öffentliche Förderung in der Schweiz

«Quantum» hat sich in den letzten Jahren und Monaten zu einem Modewort entwickelt. Im Forschungs- und Innovationsbereich führt fast kein Weg mehr daran vorbei. Aber welche grundlegenden Ideen verbergen sich hinter diesem Begriff? Und wie ist die Schweiz in Quantenwissenschaften und Quantentechnologien positioniert?

01.02.2023
Autor/in: Martin Kern
Eine Fotomontage von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Quantum Device Lab der ETH Zürich
Beam me up! Eine Fotomontage von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Quantum Device Lab der ETH Zürich. Bild: ETH Zürich

In unserer alltäglichen Erfahrung lässt sich das Verhalten der Natur sehr gut mit den Regeln der «klassischen» Physik beschreiben. Wir wissen beispielsweise recht gut, was wir erwarten können, wenn wir Strom einer bestimmten Stärke durch einen Elekromagneten schicken oder Licht durch eine Linse mit bestimmter Brennweite.

 

Quantenmechanik oder die Natur im Kleinen

Als Forschende zu Beginn des 20. Jahrhunderts begannen, das Verhalten der Natur im sehr Kleinen zu untersuchen, stellten sie schnell fest, dass Atome und Licht den bekannten Regeln nicht ge­horchen. Die Beobachtungen spotteten geradezu dem gesunden Men­schen­verstand. Es brauchte etwa 25 Jahre, bis mit der Quanten­mechanik ein Regelwerk entwickelt war, mit dem man die Natur im Kleinsten beschreiben konnte. Wirklich verstanden war sie damit noch nicht (und ist sie bis heute nicht).

Sehr klein, …

Die Quantenmechanik kommt ins Spiel, wenn wir uns auf ungefähr die Grösse von Atomen begeben. Atome bestehen aus einem positiv geladenen Kern und einer negativ geladenen Elektronenhülle und haben einen Radius von einem 10-Millionstel Millimeter. Der Atomkern ist nochmals 20 000 bis 150 000 Mal kleiner. Könnten wir ein Atom auf das Billionenfache seiner Grösse aufblasen, würde der steck­nadel­kopfgrosse Atomkern in ungefähr 100 m Abstand von ähnlich grossen Elektronen umkreist, dazwischen wäre buchstäblich nichts. Aber dieses Bild ist in gewisser Weise unzutreffend: Ein Atom und seine Bausteine sind keine klassischen Objekte, sondern Quantenobjekte – also ganz anders. Quantenobjekte sind sehr klein und/oder sehr kalt. Beispiele dafür sind Moleküle, Atome oder Elementarteilchen.

… in Päckchen, …

Einen Topf Wasser kann man gleichmässig erwärmen und ein Velo kontinuierlich abbremsen. Anders als in diesen Beispielen aus der klassischen Physik kann man Quantenobjekten Energie nicht kontinuierlich zuführen oder entziehen, sondern nur stufenweise: Energie wird von Quantenobjekten nur in passenden Päckchen, den Quanten aufgenommen oder abgegeben (Abbildung 1).

So ein Energiepäckchen kommt oft als Photon («Lichtteilchen») daher (Abbildung 2). Jedes Atom hat charakteristische Lichtfrequenzen oder Wellenlängen, die es aufnehmen oder abgeben kann.

Zeichnung der Aufnahme von Energie bei Quantenobjekten
Abbildung 1: Bei Quantenobjekten erfolgt die Aufnahme (und Abgabe) von Energie nicht kontinuierlich, sondern diskret in Stufen. Quelle: The Quantum Atlas / Eileen Stauffer

… kapriziös, …

Kennt man in der klassischen Physik die Regeln, die einem Prozess zugrunde liegen, so kann man punktgenau ausrechnen, in welchem Zustand sich das betrachtete System zu einem bestimmten Zeitpunkt befinden wird. Dank der Newtonschen Gesetze weiss man beispielsweise sehr genau, wo die Planeten in der Zukunft sein und wie schnell sie sich dann bewegen werden. Für Quantenobjekte hingegen gilt das Superpositionsprinzip: Sie befinden sich gleichzeitig in und an allen für sie möglichen Zuständen und Orten. Erst bei der Messung legen sie sich fest, wo und in welchem Zustand man sie beobachtet. Dafür, dass man einen bestimmten Wert beobachten wird, lässt sich nur eine Wahrscheinlichkeit vorhersagen.

Zudem unterliegen Quantenobjekte der Unschärferelation: Die Messgrössen eines Quantenobjekts lassen sich nicht paarweise exakt bestimmen: Das Produkt der Ungenauigkeiten zweier Messgrössen kann nicht kleiner als ein bestimmter Wert werden. Je genauer man also den Wert der einen Messgrösse kennt, desto ungenauer wird derjenige der anderen. Beispiele für solche Messgrössenpaare sind Ort / Impuls, Energie / Zeit, Spin / Orientierung.

Ein Photon passender Frequenz trifft auf ein Atom
Abbildung 2: Ein Photon passender Frequenz trifft auf ein Atom, das dadurch in einen energiereicheren (angeregten) Zustand übergeht. Beim Zurückfallen vom angeregten in den vorherigen Zustand gibt es die Energiedifferenz der beiden Zustände wieder als Photon gleicher Frequenz ab. Quelle: The Quantum Atlas / Emily Edwards

… bizarr.

Quantenobjekte haben unserer Erfahrung widersprechende Eigenschaften:

  • Superposition: Quantenobjekte befinden sich gleichzeitig überlagert in allen für sie möglichen Zuständen. Erst bei der Messung legen sie sich auf einen fest.
  • Probabilistisch: Über Quantenobjekte lassen sich keine genauen Vorhersagen treffen, nur Beobachtungswahrscheinlichkeiten angeben.
  • Unschärfe: Messgrössen lassen sich nicht paarweise exakt bestimmen.
  • Dualität: Je nachdem, wie man misst, zeigen sich Quantenobjekte als Wellen oder als Teilchen. Sie sind in gewissem Sinne beides.
  • Verschränkung («entanglement»): Wechselwirken zwei oder mehrere Quantenobjekte miteinander, werden ihre Eigenschaften so miteinander verknüpft (verschränkt), dass eine Beschreibung des Gesamtsystems allein durch die einzelnen Quantenobjekte nicht mehr möglich ist. Trennt man verschränkte Quantenobjekte räumlich, behält das System seine Gesamteigenschaften. Manipuliert man ein Quantenobjekt, wird das andere auch über beliebige Distanzen hinweg augenblicklich reagieren, um die Gesamteigenschaften des Systems zu erhalten (Abbildung 3).
  • Tunneln: Quantenobjekte können Hindernisse überwinden («durch­tunneln»), die nach den Regeln der klassischen Physik zu «hoch» für sie wären.
Abbildung von  Quantenkommunikation mit verschränkten Quantenobjekten
Abbildung 3: Quantenkommunikation mit verschränkten Quantenobjekten (Photonen in verschiedenen Polarisationszuständen). The Quantum Atlas / Shivani Mattikalli

«Alte» Quantentechnologie

«Quantum» ist überall in unserem Alltag. Seien es Halbleitertransis­toren als Bausteine von Computern, Laser oder die Magnetresonanztomographie: All diese (und weitere) Techniken beruhen auf unserer Fähigkeit, Quantenobjekte kollektiv zu manipulieren.

«Neue» Quantentechnologie

Technologien, die einzelne Quantenobjekte manipulieren, werden umgangssprachlich der zweiten quantentechnologischen Revolution oder «Quantum 2.0» zugerechnet. Strategisch wichtige Gebiete davon sind:

  • Quantensensorik und -Metrologie: Auf Messungen individueller Quantenphänomene basierende Sensoren erschliessen die Quantenwelt.
  • Quantum computing: Derzeit konventionelle Computer nutzen zum Speichern und Rechnen eine digitale (binäre) Logik, die technisch durch die Schalterstellungen «ein» und «aus» geeignet verbundener Transistoren realisiert wird. Realisiert man die Logik durch spezielle Quantenobjekte (sogenannte Qbits), so ist sie nicht binär, sondern gemäss Superpositionsprinzip durch alle möglichen Überlagerungen von Quantenzuständen des Qbits gegeben. Dies ermöglicht im Prinzip eine massiv höhere Rechnerleistung als mit den aktuell leistungsfähigsten Computern.
  • Quantum communication: Hier wird die Verschränkung delokalisierter Quantenobjekte (meist Photonen) für die Übertragung von Datenschlüsseln genutzt. Diese Technologie ist bereits verfügbar. Diese Art der Kommunikation ist im Prinzip abhörsicher, da jedes «Mithören» Dritter das Signal beeinflusst.

Das alles ist wegen der beschriebenen Eigenschaften der Quantenobjekte nicht ganz einfach und Gegenstand aktueller Forschung. Schätzungen, wann es den ersten brauchbaren universellen Quantencomputer geben wird, schwanken zwischen fünf und 30 Jahren.

Quantentechnologie: Warum der Hype?

«Quantum 2.0» bedeutet einen technologischen Wandel, der mutmasslich ähnliche Veränderungen bewirken wird wie die Industrialisierung nach der Erfindung der Dampfmaschine.

Für die gegenwärtige, weitgehend digitalisierte globale Gesellschaft wird dies voraussichtlich grosse wirtschaftliche und politische Konsequenzen haben. Der Markt der Umstellung von «traditional digital» zu «quantum» ist riesig. Quantenkommunikation und Kryptographie ermöglichen sichere Speicherung und Austausch von Daten, während die Leistungsfähigkeit von Quantencomputern neben ihrem Nutzen für Forschung und Entwicklung (z.B. in Pharmazie, Medizin, Materialentwicklung, Logistik, Fertigungstechnik) viele der auf traditioneller Computertechnik beruhenden Datenverschlüsselungen und -sicherungen knacken kann.

Das ist auch der Grund, weshalb sich diverse Länder derzeit einen sehr ambitionierten Wettbewerb um «Quantum 2.0» liefern: Wer zuerst damit arbeiten kann, gewinnt ökonomisch und sicherheitspolitisch an Einfluss. Die beteiligten Unternehmen erwarten Milliardenumsätze und -gewinne. Vor diesem Hintergrund investieren verschiedene Länder bedeutende öffentliche Mittel in diesen Forschungsbereich: China führt mit Fördermitteln von 15 Mia. USD, gefolgt von der EU mit 7,2 Mia. USD, die sich vor allem aus Investitionen Deutschlands (3,1 Mia. USD), Frankreichs (2,2 Mia USD), der Europäischen Kommission (1,1 Mia USD) und der Niederlande (0,9 Mia. USD) zusammensetzt (Quelle: World Economic Forum, State of Quantum Computing: Building a Quantum Economy, 13 September 2022).

In diesem Umfeld agiert die multilaterale Initiative «Pursuing Quantum Information together». Zwölf Länder (derzeit USA, AUS, CA, DK, FI, FR, DE, JP, NL, SE, CH, UK), die gemeinsame Werte wie Freiheit, Demokratie und Transparenz teilen, diskutieren auf technischer Ebene in einem Round Table über einen gemeinsamen Rahmen, in dem internationale Zusammenarbeit in der Quantentechnologie-Forschung möglichst reibungsfrei, aber unter Wahrung der wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen aller Beteiligten stattfinden kann. Die Schweiz beteiligt sich an diesen Gesprächen mit einer Delegation des SBFI.

 

Und die Schweiz?

Wie ist die Schweiz mit Quantenwissenschaften und -technologien positioniert? Während China, die USA, Russland und Deutschland anteilsmässig die aktivsten Länder bezüglich Quantum-Publikationen sind, steht die Schweiz vor Deutschland, UK, Österreich und den USA an der Spitze der Länder bezüglich Impact, also der Wirkung solcher Publikationen. Dies ist auch dem Umstand zu verdanken, dass die Schweiz seit über zwei Dekaden in die Quantenforschung investiert.

Seit 2001 unterstützt der Bund Nationale Forschungsschwerpunkte (NCCR) im Bereich Quantum. Diese erhalten bzw. erhielten über zehn bis zwölf Jahre je ungefähr 50 Mio. CHF:

  • NCCR Nanoscale Science, 2001–2013, Leading House: Universität Basel,
  • NCCR Quantum photonics, 2001–2013, Leading House: EPF Lausanne,
  • NCCR QSIT, 2011–2022, Leading House: ETH Zürich, Universität Basel,
  • NCCR SPIN, 2021–2031, Leading House: Universität Basel


Swiss Quantum Initiative
Die bottom-up initiierte, vom SBFI lancierte und von der Schweizerische Akademie der Naturwissenschaften (SCNAT) umgesetzte Initiative soll ab 2023 wirken. Nicht zuletzt auch aufbauend auf den über die NCCR getätigten Investitionen des Bundes und der Hochschulen hat sie zum Ziel, durch zusätzliche nationale Kooperations- und Fördermöglichkeiten die Position der Schweiz in Quantentechnologie zu festigen und ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Die Initiative umfasst die gezielte Stärkung der Forschung über kompetitive Ausschreibungen, die Entwicklung attraktiver Curricula im Bildungsbereich, den Wissens- und Technologietransfer in Zusammenarbeit mit der Industrie und die internationale Zusammenarbeit.

Quantum Transitional Call
Im Rahmen des EU-Rahmenprogramms für Forschung und Innovation, Horizon Europe (2021–2027) ist die Schweiz derzeit als nicht assoziiertes Drittland von der Beteiligung an Ausschreibungen zu Quantentechnologie und anderen von der EU als strategisch erachteten Schlüsseltechnologien (Raumfahrt, Hochleistungsrechnen) ausgeschlossen.

Zur Überbrückung wurde 2022 auf nationaler Ebene der «Quantum Transitional Call» lanciert. Das SBFI hat den Schweizerischen Nationalfonds (SNF) mit der Umsetzung dieses Calls mandatiert.

Massnahmen im Bereich der Raumfahrt
Ein Teil der vom Bundesrat aufgrund der Nicht-Assoziierung beschlossenen Massnahmen werden über die Europäische Weltraumorganisation ESA umgesetzt, der die Schweiz als Gründungs­mitglied angehört. Dies erlaubt Schweizer Akteuren weiter­hin die Teilnahme an Quanten-Weltraumprojekten.

Nachwuchs gesucht

Geld ist elementar für die Fortführung der Quantenforschung, aber nur der Anfang. Am wichtigsten sind kreative, begeisterte und in der internationalen Quantenwissenschafts-Community gut vernetzte Forschende und Entwicklerinnen und Entwickler. Von ihnen hat die Schweiz glücklicherweise viele. Aber es braucht Nachwuchs – auch daran wird gearbeitet, wie erste Studiengänge zur Quantentechnologie zeigen. Entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg der Schweiz wird es zudem sein, bereits bei Schülerinnen und Schülern das Interesse für Quantentechnologie zu wecken und sie durch spezifische Berufsausbildungen zu qualifizieren.


Kontakt
Martin Kern, SBFI Wissenschaftlicher Berater, Ressort Internationale Programme Forschung und Innovation martin.kern@sbfi.admin.ch +41 58 465 14 19
Monique Bolli, SBFI Wissenschaftliche Beraterin, Ressort Nationale Forschung monique.bolli@sbfi.admin.ch +41 58 465 64 38
Yaël Kaiser, SBFI Wissenschaftliche Beraterin, Ressort Bilaterale Beziehungen yael.kaiser@sbfi.admin.ch +41 58 463 00 59