Der Amazonas als globales Innovationslabor

Der artenreichste Regenwald der Erde wird zu einem Labor, das Natur, indigenes Wissen und modernste Wissenschaft vereint. Die schweizerisch-brasilianische Initiative nexBio Amazônia, getragen von Swissnex und dem Leading House Lateinamerika, erweckt dieses Potenzial zum Leben.

23.09.2025
Autor/in: Pedro Capra
Vier Personen sitzen vor einer Präsentation und diskutieren.
Die Veranstaltung «Voices of the Forest» im Rahmen von nexBio Amazônia, mit dem indigenen Anführer und Vizepräsidenten der Hutukara Yanomami Association, Dario Kopenawa Yanomami. Foto: Lais Teixeira

Meist ist der Amazonas aus unerfreulichen Gründen in den Schlagzeilen ‒ etwa wegen Abholzung, Waldbränden oder des drohenden Kipppunkts. Doch bei genauerem Hinsehen zeichnet sich eine andere Geschichte ab: Der grösste Regenwald der Welt entwickelt sich zu einem lebenden Labor für Nachhaltigkeit ‒ ein Ort, an dem Artenvielfalt zu Daten wird und indigene Praktiken wie moderne Technologien wirken. Dabei geht es um nichts Geringeres als die Frage, ob die Menschheit eine Wirtschaft entwickeln kann, die Ökosysteme regeneriert, statt sie zu zerstören.

Diese Vision stand diesen Sommer im Fokus der zweiten Ausgabe von nexBio Amazônia. Die zweiwöchige Immersion in den Städten Belém und Manaus, im Herzen des brasilianischen Amazonasgebiets, brachte 23 Forschende und Unternehmer aus der Schweiz und Brasilien zusammen. Gemeinsam mit lokalen Institutionen und indigenen Führungspersönlichkeiten suchten sie nach Wegen, den sozialen, kulturellen und natürlichen Reichtum des Waldes mit Marktchancen zu verbinden ‒ ohne die Fehler extraktiver Praktiken der Vergangenheit zu wiederholen.

«Wahre Innovation entsteht durch die gemeinsame Entwicklung moderner Werkzeuge mit traditionellem Wissen und durch die Stärkung dessen, was bereits funktioniert.»

Rahel Guggenbühl

Swissnex in Brasilien, das Leading House Latin America (Universität St. Gallen) und der brasilianische Nationale Rat der staatlichen Stiftung für Forschungsförderung (CONFAP) treiben die Initiative an, die weniger als Handelsmission, sondern vielmehr als vertrauensbildende Massnahme und als Experiment für eine gemeinsame Entwicklung über Kontinente und Disziplinen hinweg konzipiert ist.

Eine milliardenschwere Bioökonomie

Brasiliens Bioökonomie macht deutlich, was auf dem Spiel steht. Schätzungen zufolge könnte sie bis 2032 jährlich bis zu 140 Milliarden US-Dollar erwirtschaften. Ihre Wertschöpfungsketten umfassen dabei Bereiche von Arzneimitteln und Kosmetika bis hin zu funktionellen Lebensmitteln und Biomaterialien. Die Logik dahinter: Der bestehende Wald ist wertvoller als der gefällte. Doch um diese Erkenntnis in die Praxis umzusetzen, braucht es mehr als Laborforschung und Investitionen ‒ nämlich die Integration des traditionellen Wissens der lokalen und indigenen Gemeinschaften.

Rahel Guggenbühl ist Gründerin des Schweizer Fintech-Start-ups Reilo, das Ökosystemleistungen des Waldes in Sicherheiten für Mikrofinanzierungen verwandelt. Für sie ist klar: «Wahre Innovation entsteht durch die gemeinsame Entwicklung moderner Werkzeuge mit traditionellem Wissen und durch die Stärkung dessen, was bereits funktioniert.»

Eine Gruppe von Personen steht um einen Tisch herum, auf dem verschiedene Gegenstände liegen.
Teilnehmende von nexBio Amazônia im Amazon Biotechnology Business Center. Foto: Robert Coelho

Innovation mit Wurzeln

Einige der vielversprechendsten Projekte setzen nicht auf futuristische Biotechnologie, sondern auf ein Umdenken im Umgang mit vorhandenen Ressourcen. Rita de Cássia, Forscherin an der Universität São Paulo, recycelt Saatgutabfälle aus dem Amazonasgebiet zu Nanofasern für Wasserfilter der nächsten Generation – eine einfache, aber wirkungsvolle Methode, um sauberes Wasser zu gewinnen und gleichzeitig Ökosysteme zu schützen. Sie beschreibt nexBio Amazônia als «eine wahrhaft transformative Initiative, bei der Wissenschaft auf Menschlichkeit trifft ‒ eine Erfahrung, die der Forschung einen echten Sinn verleiht und Wissen in ein Werkzeug für positive Veränderungen verwandelt».

Andere Projekte beschäftigten sich mit Materialwissenschaft und klimaresistenter Landwirtschaft. Wie David Rast, Gründer des Schweizer Start-ups Mycostrat, das Myzel zu nachhaltigen Baumaterialien züchtet, betont, geht der Wert des Programms jedoch weit über die einzelnen Projekte hinaus: «Beim Programm geht es nicht nur um Projekte, sondern vor allem darum, dauerhafte Freundschaften und Partnerschaften zu knüpfen.»

Stimmen des Waldes

Die Eröffnungsveranstaltung des Programms «Voices of the Forest» wurde in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Botschaft in Brasilien im Rahmen des Programms Road to Belém organisiert und unterstrich die Bedeutung des Themas. Dario Kopenawa Yanomami, Vizepräsident der Hutukara Yanomami Association, erinnerte die Teilnehmenden daran, dass Innovation ohne Respekt für das indigene Wissen Gefahr läuft, in alte Fallen zu tappen.

Diese Botschaft wurde in einer Masterclass mit dem brasilianischen Wissenschaftler Ismael Nobre vertieft, der die Vision von Amazônia 4.0 vorstellte ‒ einem Institut, das sich der Integration von Technologie, nachhaltiger Produktion und Bioökonomie widmet, um eine inklusive Entwicklung voranzutreiben. Diese Perspektiven machten sowohl die Herausforderungen als auch die Chancen deutlich: Dauerhafte Lösungen können nur durch die Verbindung von überliefertem Wissen und modernster Wissenschaft entstehen.

Von Belém in die Welt

Das eigentliche Vermächtnis von nexBio Amazônia liegt im aufgebauten Vertrauen und dem ausgelösten Umdenken. Die Teilnehmenden kehrten mit ausgefeilten Projekten, vertieften Netzwerken und einem erweiterten Verständnis dafür zurück, was es bedeutet, den Amazonas nicht nur als Ort der Konservierung oder Bewirtschaftung, sondern als echten Kooperationspartner zu betrachten.

Benjamin Bollmann, CEO von Swissnex in Brasilien, bringt es auf den Punkt: «Der Amazonas ist nicht nur ein lebenswichtiges Ökosystem für den Planeten, sondern auch ein einzigartiges Innovationslabor, in dem die Schweiz und Brasilien gemeinsam Lösungen von globaler Bedeutung entwickeln können. Im Vorfeld des UN-Klimagipfels COP30 in Belém zeigen Programme wie nexBio Amazônia, wie lokale Innovationen globale Wirkung entfalten können.»

Die Lektion ist einfach, aber tiefgreifend: Die Zukunft der Innovation entsteht nicht nur im Silicon Valley oder in Zürich. Sie wird zunehmend dort erprobt, wo Flüsse, Kulturen und Ökosysteme aufeinandertreffen ‒ am artenreichsten Ort der Erde.

Swissnex

Swissnex ist das weltweite Netzwerk, das die Schweiz in Bildung, Forschung und Innovation mit der Welt verbindet. Es unterstützt seine Partner bei der internationalen Vernetzung und ihrem Engagement im Austausch von Wissen, Ideen und Talenten.


Kontakt
Tatiana Benavides Damm, SBFI Swissnex Netzwerk tatiana.benavidesdamm@sbfi.admin.ch +41 79 288 34 96
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Pedro Capra

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